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Mittelalterliche
Geschichtsschreibung

Lebensbeschreibung der fränkischen Königin Chrodechilde

Die Vita sanctae Chrothildis, eine Lebensbeschreibung der heiligen Chrodechild (vor 476/77?-544), der Ehefrau des Frankenkönigs Chlodwig (I., 482-511), ist im endenden 9. oder im 10. Jahrhundert von einem frommen Kleriker - möglicherweise aus Rouen - verfasst worden. Die wenig "authentische" und historisch "unbrauchbare" Darstellung orientiert sich hauptsächlich an dem Buch von der Geschichte der Franken, seltener an Gregor von Tours' Fränkischer Geschichte; angereichert ist die Erzählung mit ein paar angeblichen Wunderlegenden aus dem Leben der Chrodechild.

Edition: Vita sanctae Chrothildis, hg. v. B. KRUSCH, in: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Merovingicarum, Bd.2: Fredegarii et aliorum Chronica. Vitae sanctorum, hg. v. B. KRUSCH, Ndr Hannover 1984, S.341-348. - Übersetzung: BUHLMANN.

[Vorwort]: 1. Die zusammenstürzenden Gebäude der Stadt Jericho sind aus irdischen Steinen und Marmor erbaut, doch die Paläste des himmlischen Jerusalem - sie fallen niemals zusammen und bleiben in Ewigkeit bestehen - aus den Seelen der Heiligen. Die Tore dieser Stadt glänzen durch kostbare Perlen, wie die heiligen Apostel, die Märtyrer, die Bekenner, die Jungfrauen, die Verwitweten und Verheirateten. Der unsichtbare und unsterbliche König dieser Stadt nimmt auch aus allen Stämmen der Welt zu sich Diener beiderlei Geschlechts, für die - als Ausgestoßene dieser Welt - er in der vorgenannten Stadt durch die Sinnesart der nicht gefallenen Engel das gemeinsam Erlittene tötet und denen er den Genuss ewiger Freuden gibt. Auch der jungfräuliche Chor - Gott wohlgefällig und aufs beste geschmückt durch die hundertste Frucht - glänzt wie die Sterne im Himmel so auch vor Gott im himmlischen Palast. Diese jungfräuliche Gemeinde folgt der Versammlung der heiligen Verwitweten und treuen Verheirateten, die - obschon sie die hundertste Frucht nicht erhalten haben - dennoch sich der sechzigsten und dreißigsten Frucht erfreuen und mit allen Heiligen zusammengezählt und mit dauernder Glückseligkeit ewig vergolten werden. Der Gemeinschaft dieser steht die heilige und ehrwürdige Chrodechild vor, die von so großem Adel des Fleisches und ihrer Eltern war, auf dass sie zur Spitze des himmlischen Königreiches gelange, und die zu Lebzeiten durch heilige Werke glänzte, damit sie die Schranken der Welt überwinde - als Überbringerin an die zukünftige Nachkommenschaft.
[Königliche Abstammung der Chrodechild]: 2. Der burgundische König mit Namen Gundowech war aus dem Geschlecht des Königs Athanarich. Er hatte die vier Söhne Gundobaud, Godegisel, Chilperich und Godmarus. Gundebaud tötete nun seinen Bruder Chilperich mit dem Schwert und befahl, dessen Frau - am Hals beschwert mit einem Stein - ins Wasser zu werfen. Von Chilperichs zwei Töchtern wurde die ältere Chrona genannt; Gundobaud verurteilte diese - ärmlich bekleidet - zum Exil. Die doch jüngere mit dem Namen Chrodechild, von der diese Erzählung handelt, hielt er durch Gottes Fügung zuhause. Gott hat nämlich vorausgesehen, dass die Nachkommen der von königlichem Blut abstammenden Chrodechild das Reich der Römer und Franken regieren würden.
[Chrodechilds Heirat mit Chlodwig]: 3. Zu jener Zeit schickte Chlodwig, der Sohn des fränkischen Königs Childerich, oft Gesandtschaften nach Burgund zu König Gundobaud. Die Gesandten sahen im genannten Haus des Königs [Gundobaud] das Mädchen Chrodechild - verständig, schön, gebildet und anmutig - und fragten, wer sie sei. Es wurde ihnen geantwortet, dass sie die Tochter des Königs Chilperich sei, den der erwähnte Gundobaud getötet hat. Zurückgekehrt zu Chlodwig, berichteten sie, dass sie die Nichte des Königs Gundobaud gesehen hätten - berühmt durch die Vorfahren, von schöner Gestalt, würdig einer königlichen Vermählung. Dadurch sehr erfreut, sagte Chlodwig seinen Kriegern, denen er vertraute: "Mein Alter erfordert [es], dass ich mich mit einer edlen Frau verbinde, von der die Nachkommenschaft des Königs kommt, um nach meinem Tod das Königreich zu regieren. Der König Gundobaud hat eine Nichte, die ich, wenn ihr den Rat gebt, zur Hochzeit führen will." Oh Höhe der Weisheit und des Wissens Gottes, dessen Wunsch und Vorausschau niemand widerstehen kann! Alle begrüßten den königlichen Willen, die Hofbeamten hörten ihn, und es wurde gelobt, Chrodechild heranzuführen und das Mädchen zur Königin zu machen. Es wurde gesagt, dass die zukünftigen fränkischen Könige, die Gott, dem unsterblichen König, viele Klöster in Gallien erbauen würden, [somit] von königlicher Abstammung seien und durch den Aufbau einer mächtigen Kirche, die ohne Ende dauern werde, zu den Freuden des himmlischen Jerusalem gelangten.
Es war in dieser Zeit im Palast des Königs Chlodwig ein gewisser Aurelianus, ein in weltlichen Dingen bewanderter Mann und erfahrener Sekretär des Königs. Diesen schickte der König zu Gundobaud nach Burgund, damit er von diesem dessen Nichte erbitte, damit sie nach Gallien geführt und Königin werde. Es war nun die besagte Chrodechild eine Christin. Deswegen kam sie [die Herrin] an diesem Tage - wie sie es gewohnt war - zur feierlichen Messe und gab den Armen Almosen. Der besagte Aurelianus setzte sich, nachdem er sich [als Armer] verkleidet hatte, zu den auf die Almosen wartenden Armen. Die heilige Chrodechild kam zu diesem und gab ihm einen Aureus. Jener aber küsste die dargebotene Hand und zupfte sie an ihrem Mantel. Die heilige Chrodechild schickte [daraufhin] ihre Magd [zu ihm], befahl, dass er zu ihr kam, und sagte ihm: "Sage mir, junger Mann, warum spielst du den Armen und zupfst mich an meinem Mantel?" Jener sagte: "Ich schwöre, dein Sklave spricht [jetzt] heimlich zu dir." Jene antwortete: "Sprich!" Er sagte: "Mein Herr, der Frankenkönig Chlodwig, schickt mich zu dir; er will dich zur Frau haben. Sieh seinen Ring und den übrigen Schmuck sowie die königlichen Hochzeitsgeschenke!" Die heilige Chrodechild empfing den Ring und die übrigen Geschenke und hinterlegte sie im Schatz ihres Onkels, des Königs Gundobaud. Und sie sagte zu Aurelianus: "Ich grüße meinen Herrn, den König Chlodwig. Ich weiß nicht, auf welche Weise er durchführen will, was Du erbittest. Es gehört sich aber nicht, dass eine Christin einen Heiden heiratet. Niemand sollte [daher] von dieser Sache wissen. [Chlodwig] tut, was Gott will. Gehe in Frieden und kehre glücklich zu den Deinen zurück!"
4. Der zurückgekehrte Aurelianus hinterbrachte Chlodwig alles, was er herausgefunden hatte. Dann schickte der König im folgenden Jahr Aurelianus zu Gundebaud mit dem Auftrag, ihm seine Braut zuzuführen. Dies vernahm Gundebaud, und sein Gemüt war sehr erschreckt. Er sagte zu seinen Getreuen: "Der König Chlodwig sucht einen Vorwand gegen mich. Er begehrt in mein Königreich einzufallen." Und zu Aurelianus sprach er: "Du bist hierher gekommen, um uns auszuforschen; dein König will [in Wirklichkeit] nicht meine Nichte." Dem begegnete Aurelianus: "Dies hat mein Herr, König Chlodwig, mir aufgegeben: entweder ihm deine Nichte zu schicken oder gegen dich zum Kampf zu rüsten." Gundebaud antwortete: "Er komme, wo er will: er wird verlieren und sterben, so dass das Blut der Vielen, das er vergießt, gerächt wird." Die Burgunder, die zuhörten und den Zorn der Franken fürchteten, gaben [indes] Gundobaud den [folgenden] Rat und sprachen: "Gib dem Frankenkönig deine Nichte, und er schließt eine feste Freundschaft zwischen dir und sich." So gab jener die heilige Chrodechild mit königlichem Schmuck dem Aurelianus. Dieser nahm sie in Empfang und führte sie zu König Chlodwig nach Frankien in die Stadt Soissons, wo der König sie mit Freude aufnahm und sich mit ihr rechtmäßig vermählte.
[Bekehrungsversuche Chrodechilds]: 5. Als der König sie in fleischlicher Lust in sein Schlafzimmer geführt hatte, sagte die heilige Chrodechild ihm: "Herr König, höre auf deine Magd und gestehe mir zu, was ich erbitte." Der König sprach: "Erbitte, was du willst, und ich gebe es dir." Die Königin sagte: "Ich bitte, dass du glaubst an den allmächtigen Gott, den Vater und Sohn und Heiligen Geist, und dass du die Idole, die du verehrst, zerstörst und die Kirchen, die du verfolgst, wiederherstellst." Der König antwortete: "Ich verlasse nicht meine Götter, und ich verehre nicht deinen Gott. Wenn du [allerdings] anderes erbittest, wirst du dies leicht durchsetzen [können]." Es ist alles das göttliche Fügung, durch die die treue Ehefrau den untreuen Mann erlöst.
Damals bekam die Königin einen Sohn mit dem Namen Ingomer. Die glückliche Königin schmückt die Kirche mit Vorhängen und kostbaren Mänteln, sie befiehlt, die Taufkapelle herzurichten, die Geistlichkeit zusammenzurufen und das Kind zu taufen. Nachdem er durch die heilige Taufe gereinigt war, starb er in Frömmigkeit. Der König war dadurch sehr betrübt und der Königin gegenüber sehr aufgebracht. Er fragte sich nämlich, warum, wenn der Junge im Namen Gottes geweiht wurde, er nicht mehr am Leben war. Die Königin antwortete: "Ich sage Gott Dank, der den verstorbenen Sohn von meinem und deinem Leib in sein Königreich aufgenommen hat." Nach diesem gebar sie einen anderen, der bei der Taufe den Namen Chlodomer bekam. Und dieser ist durch die Gebete seiner Mutter geheilt worden, als er krank war.
[Bekehrung Chlodwigs]: 6. Die Königin hörte indes nicht auf, den König aufzufordern, den wahren Gott zu verehren und die eitlen Idole, denen er anhing, aufzugeben. Aber sie konnte in keiner Weise seine Seele zum [wahren] Glauben bewegen, so lange, bis er endlich in den Krieg gegen Alamannen und Sueben zog, in welchem er gezwungen war zu offenbaren, was er vorher geleugnet hatte. Bei den Kämpfen zwischen Franken und Alamannen drohte das Heer [Volk] Chlodwigs zu unterliegen. Dies sah Aurelianus und sagte zum König: "Herr König, glaube schnell an den Gott, den die Königin verehrt, befreie dich und die Deinigen von der drohenden Gefahr und schenke [uns] den Sieg." Der König sagte mit zum Himmel gerichteten, tränenreichen Augen: "Ich glaube an dich, Jesus Christus, der gekommen ist, die Welt zu heilen. Ich bete dich wahren Gott an, den ich verschmäht habe: befreie mich von der gegenwärtigen Gefahr. Ich bin nämlich dein Sklave." Während er dies betend sagte, wandten sich die Alamannen zur Flucht und unterwarfen sich Chlodwig, da ihr König tot war. Der König aber erlegte ihnen und ihrem Land einen Tribut auf, dankte Gott für den erlangten Sieg und kehrte nach Frankien zurück. Er schrieb der Königin, dass er den Sieg durch Anrufung des Namens Jesu Christi gewonnen habe. Geschehen ist dies im 15. Jahr seines Königtums.
[Taufe Chlodwigs]: 7. Zu dieser Zeit hatte der große Bischof und Geistliche Remigius den Bischofssitz der Reimser Kirche inne. Diesen ließ die Königin herbeirufen und bat ihn, dass er dem König den Weg des Heils zeige. Darauf kam der Bischof zum König, der ihn mit Ehren aufnahm und sagte: "Ich höre gern [auf dich], heiligster Vater, und werde gehorsam ausführen, was du befiehlst." Der heilige Remigius antwortete dem König: "Gott im Himmel ist der König der Königreiche und der Herr der Herrn; jener aber sagt: 'Durch mich regieren die Könige.' Wenn du dies glaubst und durch die heilige Taufe dazu beiträgst, [dann] wirst du alle deine Sünden abgelegt haben, alle deine Feinde überwinden und in deinem noch vor dir liegenden Leben mit Gott ohne Ende herrschen." König Chlodwig hörte diese Worte des heiligen Bischof Remigius mit hervorbrechenden Tränen und sagte: "Ich glaube an Gott, ich wünsche getauft zu werden, ich begehre durch Gott zu leben und in Gott zu verweilen." Die heilige Königin Chrodechild spricht unaufhörlich zu Gott und verlangt demütig, dass dieser den König mit seinem Volk der Schlinge des Teufels entreißen werde und dass der König durch die heilige Taufe mit dem Heiligen Geist gereinigt werde. Sie schmückt außerdem die Kirche mit Kesseln, Stoff und anderem kirchlichen Schmuck. Der neue Konstantin kommt zur Taufe - ihm voran der heilige Remigius und gefolgt von der heiligen Chrodechild ?, und der Heilige Geist wirkt auf ihn ein. Es stimmte nämlich, dass bei der Taufe des heidnischen Königs der heilige Remigius für Jesus Christus voranging und die betende heilige Chrodechild für die Kirche Gottes nachfolgte. Der heilige Bischof weiht das Taufbecken, der König wird seiner Kleidung entledigt und vom genannten Bischof getauft. Und weil die Salbung fehlte, kommt auf Befehl Gottes der Heilige Geist in Form einer Taube und bringt zwei Fläschchen, gefüllt mit Salböl, die der heilige Remigius gottgefällig auffängt. Und er salbte den König gemäß kirchlicher Sitte und nannte ihn Chlodwig, einen ruhmvollen Mann.
Das glückliche Gallien, fruchtbar und frohlockend, freute sich im Herrn und ergötzte sich an ihm. Dein König nämlich ist der Erste, der vom himmlischen König gewählt wurde. Er wurde durch die vorgetragenen Bitten der heiligen Chrodechild, Symbol für die Kirche, vom Dämonenkult befreit; er ist durch das Vorgehen des heiligen Remigius zu Gott bekehrt und von ihm getauft worden; er wurde durch die vollzogene himmlische Salbung durch den Heiligen Geist vom Fleischlichen befreit und durch göttliche Liebe vom Geist erfüllt [und] gesalbt.
Der König nahm auch den Rat der heiligen Chrodechild an, die [heidnischen] Heiligtümer zu zerstören, Kirchen zu erbauen und diese mit Ländereien und Erträgen zu versehen, [weiter] viele Almosen den Armen zu geben, die Verwitweten und Waisen barmherzig zu unterstützen und für alle durch gute Werke emsig und gottergeben zu sorgen. Auch bekam die heilige Chrodechild einen Sohn, der seinen Namen bei der heiligen Taufe erhielt und Chlothar genannt wurde.
[Krieg gegen die Goten; Tod Chlodwigs]: 8. Nach diesen [Gegebenheiten] kam der König Ludwig [, der auch Chlodwig hieß,] in die Stadt Paris und sagte zu seiner Königin, der heiligen Chrodechild: "Es ist unpassend und zu verurteilen, dass die arianischen Goten den besten Teil Galliens besitzen. Weil Gottes Hilfe mit uns ist, werden wir diese von jener Erde vertreiben." Dieser Plan fand bei der Königin und allen Vornehmen Galliens Beifall. Dann sprach die heilige Chrodechild zum König: "Wenn du, Herr König, dein irdisches Königreich ausweiten und im himmlischen Königreich mit Christus regieren willst, erbaue an diesem Ort eine Kirche zu Ehren des Apostelfürsten, des heiligen Petrus, damit es dir durch dessen Hilfe gelingt, den arianischen Stamm zu unterjochen und mit einem Sieg [diese] zum Rückzug zu zwingen." Dem König gefiel der Rat, den die Königin gab. Dann führte er ein großes Heer weg; die Königin blieb in Paris und erbaute die Kirche der heiligen Apostel. Siegreich zurückgekehrt, regierte König Chlodwig das Königreich der Franken tatkräftig, erbaute viele Klöster der Heiligen und führte - wie er vom heiligen Remigius und der heiligen Chrodechild gelernt hatte - ein gottesfürchtiges Leben bis zu seinem Ende. Chlodwig starb in Frieden im 5. Jahr, nachdem er Alarich, den König der Goten, bekämpft hatte. Er regierte dreißig Jahre und wurde begraben in der Basilika des heiligen Apostels Petrus, die er und die Königin erbaut hatten. Vom Tod des heiligen Martin bis zum Tod König Chlodwigs waren es 112 Jahre.
[Heiratsbündnis mit den Goten]: 9. Die Königin Chrodechild zog sich nach dem Tod des erwähnten Königs Chlodwig häufig nach Tours zur Basilika des heiligen Petrus zurück, wo sie gute Werke im Dienste Gottes eifrig betrieb. Sie kam selten nach Paris. Nun teilten nach dem Tod Chlodwigs seine vier Söhne Theuderich, Chlodomer, Childebert und Chlothar das Königreich unter sich zu gleichen Teilen auf. Ferner hatte die heilige Chrodechild eine Tochter, die sie nach sich selbst Chrodechild genannt hatte und die sie dem gotischen König Amalarich zur Ehefrau gab. Diese war jenem sehr verhasst wegen des katholischen Glaubens, durch den sie stark war. Jener war durch die arianische Häresie besudelt, so dass - während sie zur Kirche ging - er sich beschmutzend über sie äußerte. Er griff sie mit scharfen Worten an, aber er richtete in keiner Weise [etwas] aus, um sie vom katholischen Glauben abzubringen. Jene schickte eine Gesandtschaft zu ihren Brüdern und der Mutter und vertraute [ihnen] an, auf welche Art sie behandelt wurde. Dadurch in Zorn versetzt, schickten die [Brüder] ein großes Heer; es begann der Kampf mit Amalarich, und der arianische König wandte sich mit den Seinen zur Flucht. Er bemühte sich zu einer Kirche der Christen [Katholiken] zu fliehen. Aber als er zum Eingang dieser Kirche gelangte, traf ihn eine fränkische Lanze - grausam, wie er es verdient hat ?, und er ging zu Grunde. Daraufhin verwüstete König Childebert Spanien, eroberte die Stadt Toledo und trug von dort die großen Schätze weg. Mit ihm kehrte seine Schwester zurück. Jedoch Gott weiß - sie starb trotz überstandener Gefahr an Ermattung auf der Rückreise. Nach Paris gebracht, wurde sie in der Kirche des heiligen Petrus neben ihrem Vater beerdigt. Childebert verteilte die restlichen Schätze an die Kirchen. Von den kostbarsten Gefäßen Salomons 60 Becher, 15 Kelchteller und 20 Evangelienkästchen aus reinstem Gold mit Gemmen versehen, schön geschmückt. Er wollte nicht, dass dies alles vergeudet werde, und verteilte [daher] alles an die Kirchen [...].
[Chrodechild und die Chlodomersöhne]: 10. Zu jener Zeit, als Königin Chrodechild in Paris residierte, sah König Childebert, dass die Söhne seines älteren Bruders Chlodomer von der genannten Königin, seiner Mutter, erzogen wurden und dass sie diese sehr lieb gewonnen hatte. Er erkennt, dass sie diese zu Königen machen werde, und sagte zu seinem Bruder Chlothar: "Unsere Mutter hält die Söhne unseres Bruders bei sich [...]. Sie will sie im Königreich unseres Bruders [zu Königen] emporheben. Entweder wir scheren [ihnen die Haare] oder töten sie und teilen dann das Königreich unseres Bruders, des Vaters der [Kinder], unter uns auf." Sie schickten aber zur Königin in Paris den edlen Mann Archadius und übermittelten arglistig: "Sage unserer Mutter, der Königin, dass er zu den Söhnen unseres Bruders, unseren Neffen gesandt wurde, damit wir sie zu Königen machen." Die Königin glaubte, dass dies wahr sei, freute sich und schickte sie zu diesen. Chlothar tötete von den Söhnen zwei; der dritte aber - mit Namen Chlodoald - floh und wurde für den Rest seines Lebens zum Kleriker gemacht und zum Priester geweiht. Er war begabt mit guten Werken, voll von Tugenden und starb am Hof St. Cloud, der der Stadt Reims am nächsten liegt, am Sonntag, den 7. Iden des September.
Die heilige Chrodechild brachte die Körper der beiden Kinder, die getötet worden waren, unter dem Singen von Psalmen und unermesslicher Trauer nach Paris und beerdigte sie - außerordentlich durch die Trauer geschwächt - [dort] in der Apostelkirche, die sie gebaut hatte.
[Verdienste Chrodechilds]: 11. Niemand würde von dieser Heiligen denken als einer von Gott vor der Zeit Erwählten oder als jemand, die - durch die Erhebung des Königtums [ihres Mannes] erhaben - ledig von einem Martyrium ohne Feuer und Schwert ist, durch das sie viele Schmerzen und Torturen in ihrer Lebenszeit erlitten hätte. Die Macht ihrer Seele überwand nämlich die Ermordung des Vaters, die Tötung ihrer Mutter, das Exil der Schwester und die Heirat mit einem heidnischen König. Die Herzen des heidnischen und sehr wilden Stammes der Franken erweichte sie durch ihre Gunst, und sie bekehrte [die Franken] durch [ihr] heiliges Auftreten und ihre emsigen Gebete mit Hilfe des heiligen Remigius zu Gott. Geschwächt wurde sie durch den großen Schmerz beim Tod des Königs, ihrer Tochter Chrodechild und der Söhne ihres Sohnes Chlodomer. Wie viele Fasten haben durch Hunger, Nachtwachen, Gebete und Reue ihren Körper heimgesucht? Wie viele Reichtümer aus dem Schatz der Könige hat sie durch ihre Freigebigkeit als Almosen gegeben? Sie war vorher in königlicher Weise mit kostbaren Staatskleidern versehen. Später schritt sie mit wollenen und den wertlosesten Kleidern einher. Nach der Aufgabe von üppigen, königlichen Speisen und von nahrhaftem Fleisch wurde sie durch das Essen von Brot und Gemüsen und durch das Trinken von Wasser erquickt. Sie erbaute in der Folge viele Klöster zu Gunsten der Heiligen in vielen Gegenden. Eines davon errichtete sie zu Ehren des heiligen Apostels Petrus in der Vorstadt von Tours vor den Toren des Kastells des heiligen Martin. Auch erbaute sie ein anderes Kloster im Namen der Mutter Gottes am Fluss Seine an einem Ort, der Andely genannt wird, unweit der Mauern der Stadt Rouen. Während sie an diesem Ort blieb, war wenig zu verbergen, viel aber den Getreuen zu zeigen.
[Aufbau des Klosters Andely]: 12. Jene Gegend war kein Garten. Dennoch forderten die Handwerker zum Aufbau des genannten Klosters von der Königin Wein. Der Mangel an Wein in dieser Zeit war indes so groß, wie niemals zuvor oder danach. Während sich die Königin darüber sorgte, erwies sich nahe des [somit] verlassenen Klostergeländes eine Quelle von auffallender Schönheit und anziehendem Aussehen als zum Trinken geeignet. Und der heiligen Chrodechild wurde durch Worte angezeigt, dass sie - weil die Handwerker des Klosters von ihr [einen] Wein[trunk] forderten - jenen durch eine ihrer Dienerinnen [jeweils] einen Kelch - geschöpft aus der genannten Quelle - schicken solle. Am folgenden Tag - wie es so in der Natur der sommerlichen Jahreszeit liegt und während die Sonne mit größter Glut schien - schrien die Handwerker laut nach der heiligen Chrodechild und forderten Wein. Die heilige Dienerin Gottes schickte jedem einen Pokal, wie ihr Gott befohlen hatte. Dabei verwandelte sich das Wasser in Wein, als jene es nahmen, und sie sagten, dass sie niemals [zuvor] einen so wohlschmeckenden Wein getrunken hätten. Nach dem Trunk kamen sie zur heiligen Dienerin Gottes, beugten bescheiden einzig den Nacken, überbrachten Dank der zu Bedankenden und sagten, dass sie niemals einen so guten Kelch [Wein] ausgetrunken hätten. Die Erwählte Gottes schätzte, als sie dies hörte, dies nicht als ihr Verdienst, sondern als Güte Gottes ein. Sie hüllte sich in Schweigen und teilte den Dienerinnen mit und befahl ihnen, dass keine etwas bekannt mache. Wer auch immer [außerdem] von der genannten Quelle trank, schmeckte Wasser. Das Wasser wurde den Handwerkern des Klosters aber, so oft sie tranken, in Wein verwandelt [und zwar] so lange, bis der ganze Klosterbau vollendet war. Nach dem Ende der Bauarbeiten verblieb diese Quelle bis zum heutigen Tag im natürlichen Geschmack des Wassers.
[Gründung und Erneuerung weiterer Klöster und Kirchen]: 13. Nachher erbaute Chrodechild in der Vorstadt des Kastells Laon eine Kirche zu Ehren des heiligen Petrus, wo sie eine Klerikergemeinschaft einrichtete. Sie erweiterte die Kirche des heiligen Petrus, die innerhalb der Mauern der Stadt Reims liegt, und stattete [sie] mit Ländereien und kirchlichem Schmuck aus. Sie hat deswegen diese Kirche in all der Zeit, die sie dort verbracht hat, sehr geliebt und geschmückt, weil ihr Mann, der König Chlodwig, hier dankbar die heilige Taufe empfangen und der Heilige Geist in Form einer Taube die Salbung und das Salböl dort herab gebracht hat. Sie erneuerte auch von den Fundamenten [an aufwärts] zu solch wunderbarer Größe das Kloster, das in der Vorstadt von Rouen - nahe den Mauern dieser Stadt - zur Zeit des heiligen Dionysius dort erbaut worden war und ebendemselben Apostel im Namen der zwölf Apostel an den Kalenden des September geweiht wurde, gleichwie [dieser Apostel] Sinnbild eben des Steines ist, der im Altarfundament niedergelegt worden war. Dort auch schloss sie sich einer nicht geringen Gemeinschaft von Nonnen an, um Gott zu dienen.
[Tod Chrodechilds]: 14. Nachdem sie diese und andere Werke vollbracht hatte, lebte die heilige Chrodechild - einst Königin, dann Dienerin Gottes für die Armen und Sklaven, nun die Welt verachtend und Gott herzlich liebend - bis ins hohe Alter, bis sie von Christus aufgenommen wird und ohne Ende als Auszeichnung bei ihm verbleibt. Deswegen wurde ihr zuteil, zur Stadt Tours aufzubrechen, wo sie sich in Liebe zum heiligen Martin oft stärkte, um [den Tod] zu erwarten. Während sie dort verweilte, erfuhr sie durch eine Offenbarung der Engel, dass bald der Tag ihrer Abberufung bevorstehe. Da jauchzte sie zu Gott, betete und sagte herzlich und gottergeben: "Zu dir, Herr, habe ich meine Seele erhoben, ich komme. Rette mich, Herr. Zu dir nehme ich Zuflucht." Durch die Krankheit ihres Körper[chen]s beschwert, lagerte sie sich auf das Leichenbett, ließ aber in keiner Weise vom Beten und Almosengeben ab. Aber, wer gibt, der bedarf nicht der Sorge Christi, weil sie den Schatz der Könige geschmälert und über die Hände der Armen dem Himmel geschickt hat.
Sie sandte nun einen Boten zu ihren Söhnen Childebert und Chlothar und befahl ihnen, zu ihr zu kommen. Sobald diese das hörten, kamen sie schnell. Dreißig Tage später wurde ihr von den Priestern mit dem heiligen Öl die letzte Ölung gegeben und durch Empfang des heiligen Leibes und der Kraft Christi das Sterbesakrament erteilt. Sie entledigte sich im Bekenntnis der heiligen Dreieinigkeit ihres Körpers und entsagte der Welt. Ihre Seele wurde von den Händen der Engel zum Himmel geführt; sie wurde Teil der Chöre der himmlischen Scharen. Sie verließ aber den Körper in der ersten Nachtstunde, an den 3. Nonen des Juni. Nachdem sie gegangen war, erfüllte das Haus eine unermessliche Helligkeit und - als die sechste Stunde angezeigt wurde - ein Duft die Nasen und die ganze Gegend so sehr, dass man glaubte, durch Thymian und alle Wohlgerüche begünstigt zu werden. Diese Helligkeit und der Geruch dauerte dort geraume Zeit so lange an, bis der Tag anbrach und die Sonne über der Erde aufs klarste leuchtete. Ihre aus unterschiedlichen Ländern hergekommenen Söhne Childebert und Chlothar überführten sie von Tours nach Paris, wo sie in der Basilika der Apostel Petrus und Paulus neben dem König Chlodwig beerdigt wurde und wo auch der Körper der heiligen Jungfrau Genovefa zur Ruhe kam. Und so ist es angemessen, dass die nach den heiligen Aposteln benannte Kirche durch den Leib einer Jungfrau und den Körper einer sehr ruhmvollen Königin und gottgefälligen Witwe, der Mutter der römischen Imperatoren und der fränkischen Könige, geschmückt wird.
Zum Lob und Ruhm der heiligen Dreieinigkeit, des Vaters, Sohnes und Heiligen Geistes, deren Königreich und Kaisertum ohne Ende in der Zeit der Zeiten dauert. Amen.

Bearbeiter: Michael Buhlmann

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