www.michael-
buhlmann.de

Mittelalterliche
Geschichtsschreibung

Das Münsteraner Büchlein über die Wunder des heiligen Liudger

Anlässlich der Gründung der Ludgerikirche in Münster entstand um 1170, verfasst wohl vom ersten Priester dieses Gotteshauses, ein "Münsteraner Büchlein über die Wunder des heiligen Liudger". Dieser Libellus berichtet in 17 Kapiteln in einem einfachen Latein von Wundern, die der heilige Liudger (†809), der erste Bischof von Münster, bewirkte, und führt zudem noch einiges zur Entstehung der Ludgerikirche auf.

Edition: Libellus Monasteriensis de miraculis sancti Liudgeri, in: DIEKAMP, W. (Hg.), Die Vitae sancti Liudgeri (= Die Geschichtsquellen des Bistums Münster, Bd.4), Münster 1881, S.237-249; der Libellus steht in den vier Handschriften aus dem 15. und 16. Jahrhundert, die das "Büchlein" überliefern, immer hinter der Vita Liudgeri tertia, der ab 864 in Werden verfassten dritten Liudgervita. - Übersetzung: BUHLMANN.

[Das Münsteraner Büchlein über die Wunder des heiligen Liudger (Diese Überschrift ist nicht mittelalterlich, sondern wurde in der Edition von DIEKAMP ergänzt.)]
[Von der Kapelle in Münster und vom Kreuz (In einer Paderborner Handschrift aus dem 15. Jahrhundert.)]
1. Die Verdienste des heiligen Liudger sind durch die große Zahl der Beispiele, die der Nachwelt erhalten geblieben sind, sichtbar, auch die Wunder, die Gott vor seinem Tod und danach überall auf der Welt und besonders in Werden durch ihn bewirkt hat, sind beschrieben worden. Dass er an seinem Bischofssitz Münster zahlreiche Wunder wirkte, führen wir [hier] aus, soweit wir dies wahrheitsgemäß vermögen. Damit dies aber vollständiger da steht, erwähnen wir knapp dies, was bis auf unsere Zeiten uns an Wahrhaftigem überliefert worden ist.
Als der Bischof Burchard [von Münster, 1097-1118] beschlossen hatte, die Stadt Münster zu erweitern und darin mehrere Pfarrbezirke einzurichten, kaufte er ein Grundstück und wies es der dem heiligen Liudger zu erbauenden Kirche zu. Als im Übrigen der Streit zwischen dem Papsttum und dem Königtum entstand [Investiturstreit 1075-1122], ist nicht alleine seine Fürsorge gleichsam an der Wurzel eingeschlafen, hingegen die Kapelle, die der heilige Liudger innerhalb der Stadt hatte, unter Bischof Dietrich [1118-1127] durch Brand verwüstet[Eindringen des sächsischen Herzogs Lothar von Supplinburg (1106-1137) in Münster (1121)] und danach in beklagenswerter Weise missachtet worden. Auch hat der Herr Helmward, ein Kanoniker der Domkirche [wohl 1110, 1125 urkundlich erwähnt], jenes Grundstück, das vom Bischof Bernhard seiner Bescheidenheit anvertraut wurde, verpfändet und nicht ausgelöst. Daher war es in unserer Zeit zu einem Erbgut eines gewissen Bürgers Heinrich herabgesunken. Dessen Mitbürger übergaben, wie wir glauben, vom heiligen Geist geführt, in der Hauptsache ein Schriftstück, das wir gemäß der Kürze der Erzählung flüchtig erwähnen, dem Bischof Ludwig [1169-1173] und baten, dass jenes Grundstück oder ein anderes ihnen für die dem heiligen Liudger zu erbauende Kirche zur Verfügung stehe. Er [der Bürger] selbst aber löste das Grundstück ab als frommes Werk, wie er von Jugend an der Bereitwilligste war. Und er tauschte dieses gegen ein besseres, das dem Propst dieser [Kanoniker] als mehr geeignet erschien, und übergab dies am vierten Wochentag nach Ostern. Wer lobte nicht die göttliche Gnade? Wer schenkte nicht freiwillig einem solchen Geistlichen [Liudger] die geschuldete Ehre und den Gehorsam, in dessen [Lebens-] Zeit ja sogar Gott ihm solche Geschenke der Gnade vorenthielt?
2. Kaum war der Monat verstrichen, da war aus Hölzern eine schöne Kapelle erbaut worden, und es erglänzten die Verdienste des heiligsten Bekenners. Am Abend wurde nämlich, als für den folgenden Tag der Kirchhof und der Altar geweiht werden sollten, ein gewisses Kreuz auf Befehl des Bischofs herbeigeschafft, und in diesem waren Reliquien des heiligen Liudger. Nachdem ein zweifelhaftes Gerücht darüber aufgekommen war, brachte eine gewisse Bürgerin Helmburgis Weihrauch mit Kerzen in größter Demut dar und, als sie kaum mit dem Gebet geendet hatte, spürte sie die Kopfschmerzen, durch die sie über fünf Wochen heftig geplagt worden war, schwinden und kehrte voll Freude nach Hause zurück. Auf Grund dieser Sache war bei ihren Leuten feierliche Freude und bei vielen aus der Stadt gute Hoffnung auf zukünftige Fürsprachen, besonders weil sie vieles auch von dem Kreuz hörten. Freilich hatte dieses [Kreuz] in Elte [bei Rheine] viele Jahre in einem Speicher oder in einer Scheune unbeachtet gelegen, als alle Gebäude durch Brand zerstört wurden und die Scheune, wo es war, in der Mitte des Feuers wunderbarerweise erhalten blieb. Der Verwalter schrieb dies[es Ereignis], wie es war, der göttlichen Gewalt zu, erbaute ihm [dem Kreuz] ein schönes Kämmerlein und stellte es, soweit er konnte, zur Verehrung aus. Auch die Leute, die darum herum wohnten, empfanden bei der Anrufung des Kreuzes und des heiligen Liudger in ihrem Unheil Heilung und brachten, so sie vermochten, Opfergaben, so dass es zu ihrer Zeit Weihrauch und eine Kerze für die Nacht gab.
3. Ebenso war da ein gewisser Mann in diesem Teil von Friesland, der Morseten [Landschaft in Ostfriesland] genannt wird, dessen einziger Sohn viermal oder öfter an jedem Tag an Fallsucht litt. Da er mit den Lebensumständen des Sohnes Mitleid hatte, sah er im Traum, dass ein gewisses Kreuz nahe der Ems stand, vor dem der Junge geprüft werden sollte. Er sah dies und machte sich früh eilig mit dem Sohn und elf anderen auf den Weg in die Fremde. Und als er Rheine erreichte, bekam er mit, wo das Kreuz war. Und als er in das Haus, wo das Kreuz war, eintrat, wälzte sich der Sohn, von seiner Krankheit in Schranken gehalten, über den Erdboden herum, im Sterben liegend. Oh fromme Verdienste des heiligsten Bekenners! Nachdem Gold, Silber und andere Mittel vor dem Kreuz für gut befunden wurden, ist er vollständig geheilt worden. Nachdem dies[es Vorkommnis] in den Mund vieler gelegt war und das Kreuz [nach Münster] herab getragen wurde, wie wir sagten, gab es zu diesem in Münster einen großen Auflauf. Sie [die Bewohner] richteten aber sehr ihr Augenmerk auf jenes [Wort] des Johannes: 'Liebste, ihr sollt nicht dem ganzen Geist glauben, aber ihr prüft die Geister, die von Gott sind' [Joh. 4,1]. Sie rieten dem Bischof, dass er veranlasse zu prüfen, was mit dem Kreuz sei. Als der schon genannte Tag [der Altarweihe] für die Prüfung bestimmt wurde, tat Gott das Seinige dazu, und Dankbarkeit entfernte den Zweifel durch die Sicherheit der Wunder.
4. Es war ein gewisser Junge aus Münster mit einem kranken Bein, der sich auf zwei Krücken stützte. Dieser sah in drei aufeinander folgenden Nächten im Traum, dass ein gewisser Greis [Liudger] zu ihm kam, ihm das schwache Bein herausriss und wegging, wobei er [der Junge] nicht wusste, wohin er [der Greis] ging. Dadurch erschreckt, als ihm das offenbar wurde, schwitzte er zunächst in Folge der Beschwernis, fiel in Ekstase und fing endlich an zu klagen, nachdem er das Bewusstsein wieder erlangt hatte. Und er klagte [so laut], dass die, die um ihn herum waren, aufwachten. Um die dritte Nachtstunde war einer von diesen auch darüber ungehalten, weil er geschlafen hatte [und nun wach war], und er wies ihn [den Jungen] zu Recht. Nachdem er aber von dem Traum gehört hatte, riet er ihm, dass er ganz früh zur Kapelle des heiligen Bekenners eile und ihn anrufe. Dies tat er [der Junge] und warf sich nicht lange danach, zum Gebet ausgestreckt, vor das Kreuz, wobei er schwitzte und in Ekstase fiel, als ein gewisser Schmerz in alle seine Glieder fuhr. Als er endlich zu sich kam, fing er an zu klagen und den Umherstehenden zu sagen: 'Weshalb zerbrecht ihr mir das Bein?' Jene aber versicherten, dass sie ihn nicht berührt hätten, und sie forderten ihn auf zur Geduld und dazu, dass er Gott und den heiligen Liudger anrufe. Nachdem er dies getan hatte, erhob er sich geheilt, bat, dass das Kreuz ihm gegeben werde, und umrundete den Kirchhof, während ihm viel Volk folgte und Gott, durch den dies geschah, lobte.
5. Eine arme Frau, die dort noch war, ging an einem Festtag nach Überwasser, um Bier herbeizuschaffen. Und sie ließ ihren ein Jahr alten Jungen zu Hause zurück. Als sie aber längere Zeit fort war und alle [anderen] Jungen aus dem Haus weggegangen waren, schlich der Junge lange Zeit von der Wiege überallhin fort, so dass er in einen Brunnen fiel. Die zurückkehrende Mutter entdeckte den Jungen nicht, rannte zu den Häusern der Nachbarn und fragte, ob jemand von ihm wusste oder ihn gesehen hätte. Als alle weiter mit einem Mund sprachen, dass sie weder etwas wüssten noch gesehen hätten, kehrte die Unwissende - was sollte sie tun - nach Hause zurück. Schon trugen sie [die Nachbarn] aber den Jungen, der aus dem Brunnen befreit worden war, auf ihren Händen zu einem Tisch, und sie sahen in ihm kein Leben mehr. Daher sagten die Mutter und viele mit ihr, vom [heiligen] Geist aufgewühlt, in Tränen: 'Heiliger Herr Aegidius, heiliger Herr Nikolaus, heiliger Herr Liudger, gebt diesem Jungen eure Gnade!' Als sie dies sprachen, gleichsam bevor es nicht bestimmt war, begann Wasser aus dem Mund des Jungen zu fließen und endlich die Milch, die er trank. Und damit dies[e Erscheinung] göttlicher Gewalt bekannt wurde, bewegte er sich so lebendig, als ob er an dem vorhergehenden Unfall nicht beteiligt gewesen wäre.
6. Es gab eine gewisse arme Frau in Telgte, der Augenschmerzen so zusetzten, dass sie weder sah noch das Licht des Tages ertragen konnte, so dass sie mit dem Ärmel des Mantels immer ihr Gesicht verhüllen musste. Als diese davon hörte, was Gott in Münster durch die Verdienste des heiligen Liudger vermochte, gelobte sie ihm, ihre Opfergaben [dorthin] zu bringen, wenn das Sehen ihr wiederhergestellt würde oder der Schmerz aufhörte, durch den sie gequält wurde. Da auch der heilige Bekenner durch die Gebete überwältigt werden konnte, hörte sie nicht auf, ihn anzubeten, am Tag und in der Nacht. Es kamen die Bitttage, und die Leute jenes Ortes Münster gingen, um sich mit ihren Reliquien zu zeigen. Als sie [die Frau] diesen [den Reliquien] ein wenig außerhalb des Ortes gefolgt war, kehrten die Pfarrangehörigen und auch sie zurück. Und als sie beim Zurückgehen seufzte, dass das Unglück mit den Augen zu ihr zurückkehren werde, und der Ärmel zufällig von ihrem Gesicht glitt, spürte sie den gewohnten Schmerz nicht. Als sie sich darüber wunderte, öffnete sie die Augen und sah ohne Beschwerden. Was mag geschehen sein? Sie folgte endlich den Vorangehenden und gelangte nach Münster, und sie hatte viele Zeugen ihrer Erleuchtung.
7. Es war ein Junge in Osnabrück, der bettelte von Haus zu Haus um Brot. Das eine Auge war seit zwei Jahren blind, und auf dem anderen sah er so wenig, dass er kaum den Weg erkennen konnte. Als er Almosen auf dem Berg der heiligen Gertrud [Kloster Gertrudenberg vor Osnabrück] empfing, wurde ihm von den Stiftsfrauen und deren Dienerinnen gesagt: 'Warum rufst du nicht den heiligen Liudger an, dessen Gnade nur in Münster groß ist, wie du erkennst?' Es war dort auch ein Priester, der versprach, ihm ein Auge aus Wachs zu geben, das er dem Liudger bringen sollte. Dadurch bewegt, machte er sich mit demütigem und reuigem Herz [auf den Weg], weil ihm gesagt wurde, dass er nicht lange mehr auf jenem Auge, durch das er kaum sehen konnte, sehen werde. Dies beachtete er, empfing vom Priester das Versprochene und lenkte seinen Weg nach Münster, wo er rechtzeitig ankam. Und er sah auf dem einen und dem anderen Auge ganz. Durch dieses Ereignis der Gnade empfing er am früher dahin geschwundenen Körper solche Kraft, dass er für seine Arbeit sicher Nahrung und Einkommen hatte.
8. Es war ein gewisser [Mann] in Emsbüren [bei Rheine], der konnte seit drei Jahren weder auf der rechten noch auf der linken Seite liegen. Fürwahr zog sich [der Schmerz] von der linken Schulter nach unten bis zum Nabel und von da bis zur rechten Hüfte. Er ertrug die Mühsal ununterbrochen und musste immer auf dem Rücken liegen. Als er schon dadurch erbärmlich geschwächt war, sah er im Traum, dass er durch die Verdienste des heiligen Liudger geheilt werden könne. Dieser Traum gab ihm das Vertrauen, er gelobte dem heiligen Liudger seine Pilgerreise nach Münster, und damit er nicht mehr leidend wäre, veranlasste er vielmehr, dass er sofort zu diesem in einem Wagen geführt wurde. Und weil er schon auf dem Weg war, fühlte er gleichsam ein Jucken an der linken Hüfte, fuhr mit der Hand herab, um sich dort zu kratzen, und berührte eine Pfeilspitze, die auf Deutsch pyl heißt. Der herausgekommenen Eisenspitze folgte viel Eiter von der linken Schulter, wie er sah, der aus jenem Körperteil, der ihm Schmerz verursachte, floss. Als dies endlich aufhörte, fühlte er sich gut, so dass er von selbst gehen und sogleich reiten konnte. Er kam daher nach Münster und opferte die Pfeilspitze und führte Taten des Dankes durch, was er durch Gott und den heiligen Liudger vermochte.
9. Eine gewisse [Frau] wohnte in Oldenzaal [bei Almelo]. In deren Augen war eine dicke Hornhaut eingewachsen, und sie konnte nach fünf Jahren den Weg oder irgendetwas anderes außer am Tage nicht erkennen. Weil sie diese Beschwernis durch vieles Leiden ertragen hatte, sah sie in irgendeiner Nacht im Traum, dass sie durch die Verdienste des heiligen Liudger das Augenlicht erhalten könne. Sie wusste aber nicht, an welchem Ort das Gedächtnis des Mannes gefeiert wurde, sie überging in Schweigen das, was sie gesehen hatte, und zweifelte nicht gerade an der göttlichen Gnade, vielmehr war sie nicht der Meinung, dass an diesem [Ort] irgendetwas von Bedeutung sei. Daher und wiederum träumte sie später, dass sie ihr Opfer nach Münster bringen müsse. Als sie zögerte, dies zu machen, geschah es, dass diejenigen, die von Oldenzaal in die Fremde nach Freckenhorst [Frauengemeinschaft Freckenhorst] gehen wollten, Halt machten und dies sahen und berichten hörten. Nachdem sie dies gehört hatten, gelobten sie ihr am Abend, ihr Opfer [nach Münster] zu bringen, und am folgenden Tag konnte sie wieder gut sehen. Die Hornhaut nämlich, die über ihre Augen gewachsen war, war seit dem frühen Morgen zersprengt, als ob sie Wasser gewesen sei, und völlig in Tränen herbgeflossen. Sie kam deshalb nach Münster und gab ein hinreichendes Zeugnis der empfangenen Gnade.
10. Es war ein gewisser Händler in Soest, der hatte einen Sohn, dem der ganze Urin aus einem verletzten Nabel floss, nicht wie durch eine freie Öffnung, aber auf unerklärbare und nie gehörte Weise. Fürwahr, als dies geschah, fing er an, vor Schmerz heftig zu klagen, und danach drückte der Bauch ihm heftig überall; und so kam endlich der Urin hervor. Als diese Krankheit schon fünf Jahre zugenommen hatte, sah die Mutter in einer bestimmten Nacht im Traum, dass der heilige Liudger für ihn sorgen könne. Nachdem sie von der Gnade erfahren hatte, die Gott durch ihn [Liudger] in Münster bewirkte, versammelte sie ihre Nachbarn und andere ihr familiär [Verbundene] und berichtete von dem, was sie im Traum gesehen hatte. Sie bat, dass sie Gott zusammen mit ihr anrufen und dem heiligen Liudger ihre Opfergaben darbringen für den Sohn, damit er geheilt werde. Sie gelobten dies, und es fing an, dass es dem Sohn besser ging. Und während der Urin in kurzer Zeit [wieder] aus der üblichen Öffnung floss, führte der Vater ihn in Einlösung des Versprechens der Mutter als Zeuge seiner Heilung nach Münster.
11. Ein Armer wurde von Dienern auf Seitenwegen zum bischöflichen Haus in Münster ertappt. Er wurde des Diebstahls angeklagt und verurteilt und um die Wette an den Haaren zum Wasser gezogen. Als er schon in dieses befohlen worden war, kam ein Dienstmann der Kirche vorbei und hinderte sie daran, dass sie ihm [dem Armen] mehr Schlechtes antaten. Befreit aus den Armen dieser, kam er zu einem Hospital [wohl das Magdalenenhospital in Münster] und fragte den Vorsteher der Kranken, da es ihm schlecht ging. Er erzählte auch, was ihm widerfahren war, und bekräftigte dies durch Eid, weil er weder Schlechtes getan noch Schlechtes vorgehabt hätte. Nachdem er dies gesprochen hatte, sagte jener, durch Barmherzigkeit bewegt, dass er eintreten könne, und er ließ ihn die Pflege zukommen, die er vermochte. Wieder belebt aber durch einen Trank, fing er an, sich schlecht zu fühlen, so dass er darum bat, einen Priester zu rufen, damit er den Leib des Herrn empfange. Nachdem dieser gerufen worden war, konnte er weder sprechen noch erkannte er jemanden. Außerdem wurde er wegen des Herzens und des Kopfes auf ein hohes Bett gelegt, das Blut floss vom Herzen durch den Mund heraus, dass gerade die Füße mit dem Körperrumpf aufrecht waren. Als wir, die wir geholfen haben, uns darüber wunderten, fing er an zu sprechen, bewegte die Zunge und sagte, was wir kaum verstanden: 'Heiliges Grab, heiliger Johannes!' Während die Drangsal vom Sonntag bis zum Samstag dauerte, sagte er, um die dritte Stunde, als man schon glaubte, er sei tot, weil er weder lebendig wirkte noch sich bewegte, unvorhergesehen: 'Herr, Ihr kommt gelegen.' Und nachdem er dies gesagt hatte, lag er wiederum ruhig da. Nicht lange danach sagte er: 'Herr, seid gnädig.' Und er richtete sich auf und fragte, wo sein Umhang sei, und weiter: 'Bernhard,' - so wurde nämlich der Krankenvorsteher genannt - 'seht Ihr nichts? Sicher war der heilige Liudger hier, in der rechten Hand trug er ein Kreuz, in der linken einen Stock. Der Herr selbst ist ein schöner Greis. Sicher kam er in diese Kapelle.' Aber Bernhard, soweit er den starken Duft von Weihrauch spürte, glaubte ihm, weil er [der Arme] doch mit dem Tode rang, und sagte: 'Bleib liegen! Ich will den Herrn Gerbert rufen', der ein Bruder und Priester vom Hof der Äbtissin [Gertrud von Überwasser ] war. Nachdem er [der Arme] dies gehört hatte, sagte er: 'Wohlan, Bruder!' und er legte sich zurück auf das Bett. Als aber der Herr Gerbert ankam, setzte er sich auf das Bett und sprach, dass der heilige Liudger ihm befohlen hätte, ihm zu folgen, und bat, dass man ihm den Umhang gebe. Als dies geschehen war, konnte er kaum diesen durch das Zittern der Hände anlegen; daher sagte der gewisse [Gerbert] ihm: 'Setze dich, dir schmerzt das Bein sehr.' Er war nämlich an jenem sehr verletzt worden, als er bei der Gefangennahme am bischöflichen Haus an den Haaren gezogen worden war. Im Übrigen versicherte er, dass ihm jenes nicht schmerzte. Nachdem er mit dem Bein, das unverletzt war, aufgestanden war, stand er auf jenem, bei dem sich die Spuren des Elends bis dahin zeigten. Er betrat auch die Kapelle des Hospitals [1176 als Marienkapelle erstmals bezeugt] und brachte mit aufgerichtetem Körper dreifach sein Opfer dar. Und damit, während die Brüder und viele andere ihn zur Kapelle des heiligen Bekenners folgten, beeilte er sich damit, um nichts Schlechtes [weiter] zu erdulden. Nach Abschluss seines Gebets bot er sich selbst dar und versprach für den Donnerstag der nachfolgenden Woche eine Wallfahrt zum heiligen Jakobus.
12. Es war ein gewisser [Mann] aus Belm bei Osnabrück, der war seit drei Jahren blind. An drei aufeinander folgenden Nächten sprach er, so wie er sah, im Traum: 'Der heilige Liudger befiehlt, dass du eine Reise nach Münster machst, und du wirst dein Augenlicht zurückerhalten.' Nachdem er das Gelöbnis getan hatte, empfing er in der Nacht der heiligen Margarete [also in der Nacht zum 20. Juli] das Augenlicht und ging nach Münster, wobei er als Zeugen seiner dreifachen Blindheit Osnabrücker Kanoniker hatte.
13. Ein gewisser [Mann] aus Rinkerode, der dem Dompropst zugehörte, hatte ein linkes Bein, das durch eine lang dauernde Krankheit geschwächt war, und er konnte nicht gehen, so dass er auf einer Krücke, die unter die Achsel geklemmt war, gehen musste. Hier hörte er davon, was durch die Verdienste des heiligen Liudger in Münster geschah, und bat, ihm sein Lasttier zu bringen; und weil er zu seiner Heilung fest entschlossen war, wenn er nach Münster käme, beeilte er sich dorthin. Und weil er sich vor dem Kreuz an zwei Tagen im Gebet aufgehalten hatte und er nicht das hatte, was er wünschte, kehrte er nach Hause zurück. In dieser Erwartung aber bestätigte sich das Erlangte am augenscheinlichsten: Als fürwahr seine Ehefrau und die Jungen zusammenliefen, um das Lasttier auszuspannen, kam die Gesundheit auf ihn herab. Sicher aber darüber, dass er bei der Rückkehr die Gesundheit erlangte, kannte er nicht das Woher oder das Wo. Zu Fuß ging er deshalb nach Münster zurück, und sagte, soweit als möglich, Dank, nachdem er die Krücke abgelegt hatte.
14. Ein gewisser sehr reicher Dienstmann der Mindener Kirche wohnte an der Weser. Er war durch eine so große Krankheit geschwächt, dass er ein Jahr lang nicht gehen konnte, wenn ihn nicht zwei zwischen sich führten. Zudem verschwendete er vom Anfang der Krankheit an viel für die Ärzte. An einem Tag gaben seine Freunde das wieder, was sie vom heiligen Liudger in Münster erfahren hatten. Nachdem er dies gehört hatte und es ihm möglich erschien, dass er früh sterben würde, sagte er: 'Berichtet ihr Gutes, damit ich ihn [Liudger] wegen meiner Gesundheit anrufe und ihm meine Opfergabe darbringe?' Ihm antworteten alle mit einem Mund: 'So [ist es] auf jeden Fall. Wer hofft [denn] auf seine Rettung?' Nachdem er das Gelübde getan hatte, kehrte er am dritten Tag nach Hause und auf seinen Hof zurück, wie er es wollte. Am fünften Tag aber führte er die Pferde auf den Weg nach Münster, und als er eine Meile davon entfernt war, ging er in wollenem Gewand und barfuß weiter und brachte dem Kreuz seine Opfergaben dreißigfach dar: einen Münsteraner und einen leichten Pfennig, außerdem das Dreißigste, womit er drei schwere und drei leichte Pfennige opferte. Ebenso versprach er, dass er jährlich ihm [Liudger] seine Opfergaben schicken und bringen werde. Er sagte, dass er zu Ehren des heiligen Liudger im wollenen Gewand und barfuß nach Hause zurückkehren wolle.
15. Es war eine gewisse Frau, die war mit so großem Schmerz beschwert, dass man ihr ansah, dass es ihr nicht besser ging, vielmehr dass sie sich töten wolle. Daher nahm sie an einem Morgen Strick und Messer an sich, damit sie, wenn sie sich nicht schnell genug erhängen könne, sie schneller ihre Kehle mit dem Messer durchstoße. Sie beeilte sich auch damit und kam zu dem Ort, wo sie dies durchzuführen gedachte, im Morgenrot. Sie sprach [zu sich]: 'Dein Vorhaben ist schlecht, höre auf dein Herz und flehe Gott an und habe Vertrauen zum heiligen Liudger. So wirst du von diesen und deinen anderen Beschwernissen befreit.' Und als sie dies sagte, wurde sie ohnmächtig. Nachdem diese Gnade an diesem Ort geschehen war, kehrte sie zu sich selbst zurück und war so bei der Anrufung des seligen Liudger von jedem üblen Gedanken befreit. Sie eilte sofort nach Münster, und die Bedürftige brachte den Strick und das Messer mit anderen Opfergaben dar.
16. Es wohnte bei Lingen [an der Ems] ein gewisser [Mann], der vermisste seinen kaum zwei Jahre alten Jungen, und er suchte ihn vergebens in den Häusern der Nachbarn, in den Brunnen und auf den Wegen des Ortes und vermisste ihn auf dem Feld und im benachbarten Wäldchen. Und als er schon zwei Tage gesucht hatte, war er ermüdet und war eingedenk der Gnade, von der er gehört hatte, dass sie der heilige Liudger in Münster vollbrachte. Er erinnerte sich - ich betone es -, und er gelobte mit der großen Bitterkeit des Herzens, zu Ehre dessen [Liudgers] Silber in der Größe des Jungen, wenn er ihn finden würde, nach Münster zu bringen. Und nach diesem Gelübde goss er seinen ganzen Kummer auf den heiligen Bekenner und kehrte nach Hause zurück. Bei der Rückkehr aber gelangte er zu einer gewissen Einöde, die für gewöhnlich Fene genannt wird. Diese durchquerte er und fand unvermutet den Jungen an einem solchen Ort. Er konnte sich nicht genug darüber wundern, wie er [der Junge] dorthin gekommen war, besonders weil ringsherum viele Gräben waren; es war jenseits menschlicher Überlegung, dass er [der Junge] nicht in irgendeinen jener [Gräben] gestürzt war. Er erkannte, dass dies[es Auffinden] durch göttliche Barmherzigkeit geschehen war, und brachte, wie er gelobt hatte, für den Jungen Silber nach Münster herbei.
17. Ein gewisser Knappe einer Witwe mähte bei Nacht und heimlich einen Acker und verlor den Verstand. Er wurde nicht heimgesucht durch irgendeinen Wahnsinn, aber es war so, dass er als vom Teufel besessen angesehen wurde. Er machte nämlich Übles, wie er konnte, und lief wahnsinnig auf den Plätzen von Osnabrück in der Nacht umher. Dort hielt er sich einige Jahre auf, und er träumte, dass der heilige Liudger zu ihm sagte: 'Erhebe dich und gehe nach Münster, und du wirst die Gnade erlangen.' Aber auf welche Weise konnte er, der keinen Verstand hatte, nach Münster gelangen? Es mag [die Antwort auf die Frage] der hören, den es erfreut zu wissen, dass Gott wunderbar seine Heiligen preist. Es ist die Gewohnheit der Narren oder der sonst wie am Verstand mangelnden Personen, dass sie das Gehörte ununterbrochen wiedergeben und sich dazwischen wie ein mittäglicher Dämon, wie man so sagt, aufführen. Deshalb geschah es, dass er an einem der Tage einen Ritter ansprach, weil der heilige Liudger das zu ihm gesagt hatte, was wir zuvor berichtet haben. Dass er am Verlust des Verstandes litt, glaubte der Ritter endlich, weil er [der Besessene] so bei der Sache war, und führte ihn nach Münster. Dort bekam er [der Besessene] seinen Verstand wieder, und als er eine Zeit lang [dort] verweilte, führte eine Wallfahrt ihn zum heiligen Ägidius [St. Gilles im Süden Frankreichs].
Vieles andere hat Gott bewirkt durch seinen Diener Liudger, aber dieses wenige ist aus dem vielen niedergeschrieben worden zum Lob und Ruhm Gottes und unseres Erlösers Jesus Christus, der gelobt ist und ruhmvoll erscheint in seinen Heiligen und der über allem der gebenedeite Gott in Ewigkeit ist. Amen.

Bearbeiter: Michael Buhlmann

Zurück