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Mittelalterliche
Geschichtsschreibung

Karolingerzeitliche Lebensbeschreibung des heiligen Luzius

Die in karolingischer Zeit niedergeschriebene Lebensbeschreibung setzt den Glaubensboten Luzius, der vielleicht aus dem Prättigau ("Britannien", Montafon) stammte und als (iro-schottisch beeinflusster?) Mönch irgendwann zwischen dem 4. und 7. Jahrhundert in Rätien die (schon oberflächlich christianisierte) Landbevölkerung missioniert haben soll, mit Britannien in Verbindung und verwechselt dabei wohl Luzius mit einem König von Edessa, nämlich Lucius Abgab IX. (2. Jahrhundert), der von einem Ort namens Britio aus regiert haben soll.

Edition: Vita Lucii confessoris Curiensis, hg. v. BRUNO KRUSCH, in: Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Merovingicarum, Bd.3: KRUSCH, BRUNO, LEVISON, WILHELM (Hg.), Passiones vitaeque sanctorum aevi Merovingici [et antiquorum aliquot] I, 1896, Ndr Hannover 1977, S.1-7. - Übersetzung: BUHLMANN.

ES BEGINNT DIE BEKEHRUNG ODER DAS LEBEN DES SELIGSTEN BEKENNERS LUZIUS.
1. Indem wir den Festtag des seligsten Luzius begehen, liebste Brüder, rufen wir uns ins Gedächtnis, wie jener Ort hier [Chur] - von der Unwissenheit der Finsternis befreit - das Licht der [Glaubens-] Dinge empfangen hat. Von diesem Zeitpunkt an erklingen also die Psalmen, deswegen ertönen die Lesungen, von da an offenbart sich in der Stimme des Glaubensbekenntnisses die ganze Kirche, die sich schätzen kann, einen so ausgezeichneten und großen Schutzpatron zu besitzen, durch dessen Verdienste und Gebete das gesamte Volk allen Übeln entkleidet ist und frohlockt. Weil die Verehrung des heiligen Mannes gewachsen ist nicht durch die Ansichten der Heiden, sondern durch die Glaubenssätze der Apostel und weil von jener lebendigen Quelle, von der Gott vorhergesagt hat, dass sie das Gefäß der Auserwähltheit sein wird, der Trunk des Lebens uns gereicht wurde, danken wir also freudig dem Herrn und verkünden zur Erbauung des Volkes, dass uns die Ankunft des seligen Mannes erschienen ist.
2. In jener Zeit nämlich, als der seligste Apostel Paulus nach der Auferstehung unseres Herrn Jesus Christus in der Stadt Rom war und über zwei Jahre - von niemanden gestört - den Juden und Griechen predigte, sah er, dass ihr verstocktes Herz auch nicht durch heilsame Ermahnungen zur Ruhe kommen konnte; und weil Moses den Juden einen Schleier über ihr Herz gelegt hat, weil sie gleichsam seinen verderblichen Worten und nicht dem lebendigen Geist folgten, entschloss er [Paulus] sich zur Predigt bei den Völkern. Deshalb rief er den Apostel Timotheus, seinen Schüler, herbei und sagte ihm: "Breche auf und gehe zum Land Gallien; und wenn du dies erreicht hast, predige das Evangelium vom Königreich Gottes, wie es geschrieben steht: "Kündige an bei den Völkern die Großartigkeit und die Wunder Gottes."
3. Daraufhin gelangte Timotheus, der erfreut war über den Auftrag des Herrn wie auch über die Unterweisung seines Lehrers, in die Länder Galliens. Er predigte die Taufe und die Buße in Vergebung der Sünden. Als er den Hafen erreichte, der als Stadt Bordelais bezeichnet wird, predigte er das Evangelium des Königreichs Gottes, verkündete den Gläubigen dessen Erhabenheit, den Ungläubigen aber das Gebet und bekehrte alle zum Glauben in Christus, weil sie vorherbestimmt waren für das ewige Leben. Nachdem dann alle, die er bekehrt hatte, getauft waren und erfahren hatten, dass sie - von der Beschmutzung durch die Götzen gereinigt - der unvergänglichen Regel des Glaubens dienen und durch die Gnade der Taufe erneuert würden, mahnte er und sagte: "Ihr alle, die ihr in Christus getauft seid, lasst Christus in euch. Indem ihr also den alten Menschen - das ist der Teufel mit seinen Verbrechen - verbannt, lasst euch auf das Neue ein - d.h. auf Christus mit seinen heiligen Tugenden -, damit ihr in der Neue des Lebens einherschreitet, frei von Sünde, Diener aber von Gott. Ihr mögt euren Ertrag in Zufriedenheit genießen, am Ende jedoch das ewige Leben." Und nach wenigen Tagen war die Zahl der Gläubigen gestiegen, vervielfacht im Glauben durch geoffenbarte Zeichen und Tugenden; Priester und Diakone waren nämlich eingesetzt worden, die mit ihnen die göttlichen Geheimnisse feierten, die Tempel der Götzenidole zerstörten und Kirchen bauten.
4. Nachdem er [Timotheus] dort also nicht geringe Zeit verbracht und die Schüler im Glauben an Christus bestärkt hatte, hörte er auf, sich danach zu erkundigen, ob irgendwo noch Völker den Götzenbildern unterworfen waren. Dann sagte einer von den Apostelfürsten zu ihm: "Uns ist bekannt geworden ein entferntes Land, das Britannien heißt - ein wilder Volksstamm, der die Götzenbilder anbetet und nichts von Christus weiß. Dort herrscht König Luzius. Mache dich also auf und predige dort, damit sie bekehrt werden und leben." Dies wurde dem seligen Timotheus mitgeteilt. Erfüllt von großer Freude, brach er eilends auf und erreichte die Provinz, wo Luzius herrschte. Und gemäß dem Befehl seines Lehrers zögerte er nicht, die Worte des Lebens zu predigen. Die Völker zeigten sich aber erstaunt von der Ungewöhnlichkeit seiner Lehre, die sie hörten, und schickten entsprechende Nachrichten zu König Luzius, der unverzüglich befahl, dass ihm [Timotheus] vorgeführt werde, um das, was seine Lehre war, selbst zu hören. Und als dieser ihm vorgeführt wurde, fragte der König ihn: "Aus welchem Land und welcher Stadt kommst du?" Der selige Timotheus antwortete: "Ich bin ein Sklave meines Herrn Jesus Christus und ein Schüler der Apostel. Und geschickt bin ich von diesen, um euch das Wort der Wahrheit zu predigen, damit ihr von den Götzenbildern ablässt und den wahren Gott erkennt, der im Himmel ist und durch den alles erschaffen wurde im Himmel für die Geschöpfe, die auf der Erde sind. [Ich bin geschickt,] um dir und allen, in denen der Geist des Lebens ist, zu verkünden das Evangelium des [himmlischen] Königreichs und den ewigen Ruhm, die Auferstehung nach dem Tod und das unsterbliche Leben. Denn ein Königtum auf dieser Welt und seine Reichtümer lösen sich wie Rauch auf, das Königreich Christi aber bleibt bestehen ohne Ende und durch das ewige Leben." Weil der König alles, was gesagt wurde, aufmerksam hörte, sagte er zu [Timotheus]: "Wenn der morgige Tag kommt, werde ich dich herbeirufen, um mehr zu hören."
5. In dieser Nacht aber sah er [Luzius] im Schlaf den offenen Himmel und dessen Helligkeit, auch einen Engel Gottes, der an dessen Haupt saß und durch den ihm durch göttliches Nicken offenbart wurde, dass ein Mann Gottes [Timotheus] zu ihm geschickt wurde. Aufgewacht aber in der ersten Morgenröte, befahl er, dass der selige Timotheus zu ihm gebracht werde. Und er sagte zu diesem: "Von einer nächtlichen Offenbarung habe ich erfahren, dass ich das, was du lehrst, mir aneignen muss. Siehe, ich bin bereit, um davon erfüllt zu werden!" Ihm sagte der selige Timotheus: "Was ich am vorigen Tag gesagt habe, sage ich wiederum, damit ihr, wenn ihr den Irrtum der Götzenbilder überwunden habt, dem einen unsichtbaren Gott dient, den niemand von den Menschen sieht und der nicht angeschaut werden kann, der allein die Unsterblichkeit und das unvergängliche Licht besitzt, seinem einen eingeborenen Sohn, unserem Herrn Jesus Christus, vor der Ewigkeit vom Vater gezeugt, und dem einen Tröster, dem heiligen Geist, hervorgehend aus dem Vater und dem Sohn. So werdet ihr - getauft im Namen der heiligen Dreieinigkeit - die Vergebung eurer Sünden empfangen und zu Söhnen Gottes durch das Wasser der Taufe und die Salbung des heiligen Geistes werden, anerkannte Gefährten der Heiligen bei der Auferstehung des Lebens und im immerwährenden Ruhm." Und als er [Luzius] das, was gesprochen wurde, mit großer Aufmerksamkeit hörte, glaubte er und wurde getauft, und alle seine Verwandten und Freunde und das ganze Land seiner Herrschaft bekehrten sich zum Glauben.
6. Nachdem also der Dienst der Taufe geschehen war, die Gnade des Glaubens befestigt wurde, die Priester gewählt und die Diakone bestimmt worden waren, wurden die Tempel der Götzen zerstört und Kirchen errichtet. Aber der seligste Luzius fing an, die Erfolge der Tugenden gering zu achten, das Weltliche zu verschmähen, das Himmlische zu ersehnen, die trügerischen Reichtümer dieses Zeitalters gering zu schätzen, den Reichtum der Seelen zu ersehnen, durch die Liebe zu den unsichtbaren Dingen, auch wenn er sie sieht, zu glänzen. Während ihm der heilige Geist sich offenbarte und weil niemand zwei Herren dienen kann, ließ er in der Welt, was zu der Welt gehörte, und glühte vor Glauben und Frömmigkeit. Er trug das Evangelium Christi tief im Herzen. Er ließ das Königreich und das väterliche Erbe zurück, und er wanderte nach Gallien. Und wo auch immer sich Gelegenheit bot, begann er mit der Predigt des Evangeliums und hörte nicht auf, die Schafe des himmlischen Herrn zu weiden. Nicht ein stiller Zuhörer des Wortes des Herrn, wiederholte er dessen Ausspruch: "Wenn du mich liebst, weide meine Schafe."
7. Und als er dies unaufhörlich betrieb, wurde ihm zugetragen, dass es eine gewisse Stadt gebe, die Augst genannt wurde und die bis dahin - von heidnischem Irrtum erfasst - den Götzen opferte. Der Herrscher dieser Stadt hieß Compester und hielt sich dort einige Tage auf. Als aber der selige Luzius die Bußtaufe bei Vergebung der Sünden predigte, glaubte der Herrscher Compester und wurde getauft. Und er führte auch seine Stadt zum Glauben an Christus.
8. Und als der seligste Luzius sich in der besagten Stadt aufhielt, gelangte ihm zu Ohren, dass in der Provinz Rätien noch die [Bewohner] den Götzen opferten. Nachdem er daher die Kirche in Christus verankert hatte und das über Hoffnung und Belohnung, was zur Religion und zur Gnade des Glaubens dazugehört, erläutert hatte, damit sie auch die wichtigen Pflichten der Wohltätigkeit beachteten, sagte er ihnen Lebewohl und brach auf. Es kam aber der heiligste Luzius in den Gau Chur und nahm Zuflucht zu den schon gewohnten Hilfsmitteln [der Missionierung]. Geschützt vom Himmel, mit Asche bestreut, durch zwei- und dreitägiges Fasten kasteit, hielt er bei Tag und Nacht heilige Gebete ab und erbat die Barmherzigkeit Gottes, damit durch göttliche Eingebung die Finsternis der Unwissenheit fliehe, wenn [den Bewohnern] das Licht der Wahrheit offenbart wurde.
9. Und als er ununterbrochen eine Woche lang dies getan hatte und die sieben Tage um waren, offenbarte sich ihm der heilige Geist, und es offenbarte sich bei ihm der Psalm, der besagt: "Mein Diener, fürchte dich nicht, und bemühe dich mutig; und dein Herz wird gestärkt. Viel Volk hängt mir nämlich an in dieser Stadt. Stärke dich also und sei standhaft, damit du dich nicht fürchtest im Angesicht jener, weil ich bei dir bin und ich dich nicht verlassen werde." Und als er morgens - von der göttlichen Offenbarung bestärkt - im Herrn aufwachte, fing er an, den eitlen Aberglauben wegzuschneiden und die Gnade des Glaubens zu predigen. Daher rief er [die Leute] laut herbei und sagte: "Ein Gott, ein Glaube, eine Taufe! Denn wenn auch die, die Götter heißen, entweder im Himmel oder auf der Erde sind und gleichwie es viele Götter oder Herrscher gibt, so gibt es für uns aber nur einen Gottvater, aus dem allein alles und wir sind, und einen Herrn Jesus Christus, durch den allein alles und wir sind."
10. Und als er dieses und Ähnliches ihnen in die Ohren rief, antworteten sie und sagten: "Gehören Sonne und Mond und die Sphären der Sterne sowie die strahlenden Blitze nicht etwa zu den göttlichen Wesen? Wir sehen doch, wie sie über alles in ihren Zeiten bestimmen und den Sterblichen zur Bequemlichkeit des Lebens dienen." Ihnen sagte der Mann Gottes: "Glaubt daran, dass es einen Gott gibt, durch den alles geschaffen wurde, der Himmel und Erde gemacht und das Meer hervorgebracht hat, der den Himmel mit Sternen anfüllte, die Erde aber mit Gräsern und Bäumen, der den Himmel mit Wolken verhüllt und [dadurch] die Tageshitze der Sonne abmildert, der aber die Erde mit Regen und Wasser befeuchtet. Dieser ist der Gott der Götter und der Herr der Herrscher, durch den wir leben, existieren und sind, der an drei Fingern die Last der Welt trägt und über den Fluten des Meeres wandert, der der Sonne befiehlt, nicht unterzugehen, und der die Sterne verschließt gleichsam unter dem Himmelsgewölbe, der die Menge der Sterne zählt und ihnen allen Namen gibt, dessen Geist die Himmel schmückt, dessen Weisheit die Erde erschaffen hat."
11. Und als er dieses und diesem Ähnliches sprach, glaubten sie alle, stimmten dem zu und sagten: "Einer und wahr ist der Gott der Christen, der solche tüchtigen Diener hat." Er unterwies sie also - dabei erhob er sich - und brachte ihnen die apostolischen Ermahnungen nahe: dass sie sich enthalten sollen, den Götzenbildern zu opfern, dem Blutopfer, dem Opfer, das erstickt wird, und der Unzucht. Nachdem das Fasten abgehandelt worden war und die Regeln des Glaubens vermittelt wurden, wurden alle getauft und preisten den Herrn, der ihnen geschickt hat den Lehrer der Gerechtigkeit und der sie aus der Gewalt der Dunkelheit riss und überführte in das Königreich seiner Liebe. Denen, die in der Finsternis und im Schatten des Todes saßen, ist das Licht erschienen, und sie verdienen es, die Sakramente des ewigen Lichts zu empfangen.
12. Und als die Kenntnis des Glaubens von Tag zu Tag wuchs und den Anwohnern umfänglich die Sakramente des Glaubens unterbreitet wurden, kam ihm [Luzius] von denen zu hören, die schon durch seine Lehre bekehrt worden waren, dass an einem Ort, der Marswald ["Martinswald"] heißt, die Kälber von Auerochsen gemäß der Sitte der Wahnsinnigen als Götter angebetet wurden. Als der seligste Luzius hörte, dass das Gebiet damals vom heidnischen Irrtum verseucht war, machte er sich schleunigst auf, um den Irrtum auszulöschen, wobei sich ihm eine nicht geringe Menge von Volk zugesellte. Und als er an den besagten Ort kam, ermahnte er sie durch Rede und Gebete, den Herrn demütig anzuflehen, damit der Herr jene Pest [des Heidentums], wie man wusste, beseitigte. Als die Bewohner jenes Ortes dies hörten, staunten sie in plötzlichem Staunen und liefen freundlich dazu. Der seligste Luzius fing an, diese durch eine schmeichlerische Predigt zu ermahnen, von der Verehrung der falschen Götter abzukommen und den wahren Gott, der im Himmel ist, anzubeten. Er fügte ihnen gegenüber auch hinzu und sagte: "[Lücke] Die Götter, die Himmel und Erde nicht gemacht haben, mögen untergehen auf der Erde und auf dem, was unter dem Himmel ist." Und als sie dies hörten, fingen sie an, ungeheuer zu toben und mit den Zähnen zu knirschen. Sie ermahnte wiederum der Mann Gottes und sagte: "Ihr verehrt dumme und schlechte Tiere, ihr seid jenen ähnlich wie Pferd und Esel, in denen kein Verstand ist."
13. Durch Zorn noch mehr aufgestachelt, erblickten sie [die Heiden] einen am Ort gelegenen Brunnen. Sie warfen ihn [Luzius] in diesen hinein und wollten den Hineingeworfenen mit Steinen zuschütten. Als die, die mit dem heiligen Mann gekommen waren, dies sahen, wandten diese sich mit Wut dagegen, liefen zusammen und wollten die töten, die dies zu tun gewagt hatten. Und es war zwischen den beiden Gruppen ein nicht geringer Streit. Aber der seligste Luzius erhob sich unverletzt aus dem Brunnen, predigte stärker und wandte sich an die, die er schon als Söhne in Christus bezeichnete, und sagte: "Beruhigt euch, liebste Söhne, und verkehrt nicht den Frieden unseres Herrn Jesus Christus in Streit und Aufruhr, weil er selbst, als er geschmäht wurde, nicht schlecht redete, und als er Ungerechtigkeiten erlitt, nicht drohte, sondern sich dem richterlichen Unrecht unterwarf. Das Vorbild unseres Herrn Jesus Christus lehrt also am Beispiel seines Schicksals, nicht zu vergelten, sondern den Schmähenden zu segnen und für die Verfolger zu beten."
14. Nachdem sich so das Volk beruhigt hatte, der Friede wiederhergestellt worden war und die göttliche Voraussicht gewaltet hatte, erschienen jene derben Tiere, die beim Volk der Stein des Anstoßes waren. Als das der Mann des Herrn sah, war er von großer Freude erfüllt und forderte - mit den Knien auf dem Erdboden, Augen und Hände zum Himmel gestreckt - die, die schon getauft waren, auf, dasselbe zu tun. Mit heller Stimme, die alle hörten, brachte er dieses Gebet an den Herrn hervor: "Allmächtiger, ich bete dich an, ich verehre, fürchte und rühme dich, weil ich durch deinen eingeborenen Sohn den Machenschaften der gottlosen Menschen entkommen bin. Und du hast meine Seele vor den Verfolgern gerettet und ließest mich nicht in die Hände der Feinde fallen. Und darüber hinaus hast du mir den Stein des Anstoßes gezeigt, der bei deinem Volk durch die Machenschaften von Dämonen verursacht war. Siehe nämlich, jetzt ist der angemessene Zeitpunkt, jetzt der Tag des Heils, an dem deine Auserwählten von der Dunkelheit ins Licht geführt werden, an dem deine Söhne, wenn sie die Zeichen und Wunder sehen, zur Erkenntnis gelangen. Du bist nämlich der verborgene Gott, der allein Wunder tut, der die durchschaut, die im Herzen betrübt und mit Mühsal beladen sind. Sie [die Auerochsen] und die Schafe und Rinder und alle Zugtiere auf den Feldern hast du zum Nutzen der Menschen gemacht, und du gabst deinem Volk durch deinen Diener Moses die Vorschrift von den reinen und unreinen Tieren, damit sie die reinen essen, die unreinen meiden. Du hast diese stumpfsinnigen Tiere gemacht zum Lob und Ruhm deines Namens und ihre Wildheit gebändigt, damit sie zahm werden und dem Nutzen deiner dir dienstbaren Knechte eifrig dienen."
15. Und als das Gebet beendet war, erhoben sie [die Christen] sich vom Boden, und jene Ochsen, die lange herumgestanden hatten, begannen, sich zu nähern. Und sie liefen, während alle staunten und sich wunderten, zum Kleid des seligen Mannes und beleckten seine Füße. Die Mengen aber [Christen und Heiden] sahen das so unvermutete Wunder, sie fürchteten sich sehr, priesen den Herrn und sagten: "Wahrlich, groß ist der Gott der Christen." Nachdem dann die Tiere die Fesseln empfangen hatten, legte der seligste Mann das Joch auf ihre Schultern und spannte sie vor einen Wagen. Er selbst legte mit seinen Händen das Gewicht des Holzes auf sie, und sie kehrten auf den Weg, den sie gekommen waren, zurück, am Wagen eingespannt.
16. Während alle aber sich wunderten und staunten, fingen andere vor Freude an zu weinen, andere riefen mit erhobener Stimme und sagten: "Du bist groß, Herr, und berühmt, ruhmreich in deiner Kraft und unsichtbar, du, der du derbe und stille Tiere der Verfügung deiner Diener unterwirfst." Andere sprachen: "Groß ist unser Herr Jesus Christus, und die große Kraft seiner Weisheit ist ohne Zahl. Du verdunkelst das Sichtbare, machst das Hörbare still, die Lahmen gehend und die Tauben das Gebet hörend. Du hast uns durch deinen seligsten Diener Luzius vom Tod der Finsternis befreit und uns geführt zum Licht." Andere priesen Gott in Hymnen und Bekenntnissen, sie sangen und psalmodierten in ihren Herzen, weil er barmherzig mit ihnen gewesen ist.
17. Dieses und Ähnliches riefen sie aus, nachdem sie die Zeichen und Wunder erfahren hatten. Die, die in der Stadt zurückgeblieben waren, eilten zu jenen, die Kerzen und Weihrauch empfangen hatten. Sie riefen zum Himmel: "Der rechte Weg der Gerechten, der Weg der Heiligen ist bereitet worden." Und sie fügten hinzu: "Vertraut dem Herrn und ruft seinen Namen an. Gerühmt werdet ihr im Namen dessen, der vereinigt das zerstreute Israel." Sie [die Noch-Heiden] kehrten wieder in die Stadt zurück und freuten sich zusammen über die offenbarten Zeichen und Wunder. Nach dem Tun der Hirsche ersehnten sie, die Wasserquelle [das Taufbecken] zu erreichen.
18. Und wenige Tage später lehrte er [Luzius] die, die nun hinzugekommen waren, die Regel des Glaubens und beseelte sie mit heilsamen Ermahnungen, indem er ihnen die apostolischen Vorschriften übermittelte. Er taufte sie alle, und indem er sie vollständiger über die göttlichen Schriften belehrte, erlaubte er, dass sie nach Hause zurückkehrten. Er bestätigte deshalb die Schüler in Christus, auf dass die Festigkeit des Glaubens von der Hoffnung und der Auferstehung erhalten bliebe. Dann starb er auf Grund der Erfolge seiner Taten im Herrn, während sein Ruhm gleichsam mit den Engeln fortdauerte. In seinen Tagen bewahrten Frieden und Liebe das Kirchenvolk.
19. Hinsichtlich der Taten und Wunder, durch die der heiligste Mann an diesem Ort [Chur] glänzte, ist es uns unmöglich zu schildern, wie viele Verblendete erleuchtet, wie viele Leprakranke gereinigt, wie viele von den unreinen Seelen zu verschiedenen Zeiten erquickt und wie viele von den Fiebern und den verschiedenen Leiden befreit wurden. Auch ist es nicht möglich, die übrigen Wunderzeichen zu schildern, die unsere Aufzeichnung in Worten nicht ausdrücken kann.
20. Es beliebt, werteste Brüder, die Augen des Geistes auf den Spender der Gefälligkeiten zu richten und den Ruhm dieses Heiligen und den Dank wegen unserer Erneuerung auszudrücken [sowie zu sagen], auf welche Weise der Herr unterhalb der Gipfel der Berge wie in der zurückweichenden Dunkelheit uns aus den Königen der Völker einen Apostel erweckte und aus den Fürsten der Erde einen Evangelisten schickte. Die, die einst nicht das Volk [Gottes] waren, sind nun aber das Volk Gottes, und die, die nicht Barmherzigkeit erlangt haben, erlangen nun aber Barmherzigkeit, auf dass wir Volk der Erwerbung [des christlichen Glaubens] und heiliges Volk genannt werden und damit er recht handelte, uns jenen Propheten zu schicken, durch den er sagte: "Alsdann tanzt der Lahme wie ein Hirsch, und zugänglich sei die Sprache den Sprachlosen", damit wir, die wir überwunden haben die Fesseln und die beschuhten Füße, übereinstimmend eilen zur Verbreitung des Evangeliums in den Wettläufen der Jahre wie im Eilschritt zum frommen Vortänzer hin und damit wir es wert finden, mit dem Propheten zu sagen: "Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die Frieden verkündigen, Gutes predigen und Heil verkünden in unserem Herrn Jesus Christus, dem Ehre und Ruhm sind in den unendlichen Zeitaltern der Zeiten." Amen.
ES ENDET DIE LEBENSBESCHREIBUNG DES HEILIGEN BEKENNERS LUZIUS.

Bearbeiter: Michael Buhlmann

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