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Mittelalterliche
Verfassungsgeschichte

Hirsauer Formular (1075 Oktober 9)

Das sog. Hirsauer Formular ist eine Urkunde König Heinrichs IV. (1056-1106) vom 9. Oktober 1075, die Abt und Kloster die freie Abtswahl, die freie Wahl bzw. Absetzung des Vogtes, den königlichen Schutz und die vom deutschen Herrscher abgeleitete erbliche Vogtei der Grafen von Calw (Adalbert II. von Calw [†1099]) verbriefte. Die lateinische Urkunde ist wohl original überliefert. Als Urkunde zur libertas ("Freiheit") des Hirsauer Klosters fand das Diplom des salischen Königs innerhalb der Hirsauer Klosterreformbewegung Verbreitung (z.B. Prüfening, Rüeggisberg, St. Georgen im Schwarzwald).

Edition: Monumenta Germaniae Historica. Diplomata: Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser: Bd.6: Die Urkunden Heinrichs IV., Tl.1-3, hg. v. D. VON GLADISS u. A. GAWLIK, 1941-1978, Ndr Hannover 1959/1978, MGH DHIV 280. - Übersetzung: BUHLMANN.

(C.) Im Namen der heiligen und ungeteilten Dreieinigkeit. Heinrich, begünstigt durch göttliche Gnade, König.

Es sei dem Diensteifer aller gegenwärtigen wie auch zukünftigen Getreuen der heiligen Kirche Gottes angezeigt, dass es in unserem Königreich ein gewisses Kloster gibt, nämlich in der Provinz, die deutsches Franken heißt, im Bistum Speyer im Würmgau genannten Gau in der Grafschaft Ingersheim im Wald, der der schwarze heißt, beim Fluss, der Nagold heißt, [ein Kloster], das Hirsau oder Zelle des heiligen Aurelius genannt wird und das in der Zeit des Königs Ludwig des Frommen zu Ehren des heiligen Petrus und des heiligen Bischofs Aurelius ehrenhaft errichtet und Gott geweiht wurde von einem gewissen frommen adligen Vornehmen Erlafrid und von dessen Sohn, dem Bischof von Vercelli, und von anderen Vorfahren des Grafen Adalbert von der Burg Calw, das aber von den Späteren zuschanden gemacht wurde. Nun aber stellte derselbe Graf Adalbert auf Veranlassung Gottes und nicht zuletzt auf die wiederholten Bitten seiner Ehefrau Wiltrud dieses Kloster schon wieder her und erneuerte an mönchischem Leben das, was schon lange dort gefehlt hatte, und stellte die Güter zurück, die einst von seinen Vorfahren dorthin gegeben wurden, aber teilweise schon von den Späteren besetzt, teilweise von ihm selbst gleichsam nach Erbrecht besessen wurden, und gab darüber hinaus dorthin zurück von dem Eigentum solche Zuwendungen an Gütern, durch die nun der Gottesdienst durch 15 unter der Regel des heiligen Benedikt sorgende Brüder durch die Gnade Gottes durchgeführt und aufrechterhalten werden kann, wobei die vorgenannte Ehefrau, die Söhne Bruno, Adalbert und Gottfried und die Töchter Uta und Irmingard ihm darin wie bei allen diesen Verfügungen ganz und gar zustimmten. Und zuallererst stellte er den Ort Hirsau selbst mit allen nun gegenwärtig zusammengeführten gesetzmäßigen Rechten und allem Zubehör an Gütern, Hörigen, Zinsen, Geldern und anderen Dingen insgesamt über dem Altar des heiligen Aurelius zurück, überwies und übergab [den Ort] dem Herrn Gott, der heiligen Maria, dem heiligen Apostel Petrus, dem heiligen Bischof Aurelius und dem heiligen Benedikt in die Gewalt und das Eigentum sowohl dem Abt des besagten Klosters mit Namen Wilhelm als auch dessen Nachfolgern zur freien und notwendigen Verfügung über die Zelle und den Brüdern, die dort unter der Mönchsregel dienen werden, zum Nutzen. Und damit nicht irgendjemand von den Späteren wie seine [Adalberts] Vorfahren den Gottesdienst dort zerstören kann, bestimmte er und entschied klug und zukunftsweisend, dass diese Zelle mit allem nun zusammengetragenen und später hinzukommenden Zubehör von diesem Tag an und demnächst ganz und gar nicht dem Joch und der Gewalt irgendeiner irdischen Person unterworfen oder untertan sei außer einzig der Herrschaft, Ordnung und Gewalt des Abtes. Und so vergrößerte er [die Rechte] diese[r Zelle] um das Recht und Privileg der gesamten Freiheit und wegen des Erbes des himmlischen Königreiches in Christus hob er sie auf jede Weise zuverlässig empor. Für die Zukunft sagte er sich mit der Ehefrau und den oben genannten Söhnen und Töchtern von jeglicher Gewalt, dem Recht und dem Eigentum über [das Kloster], von jeglichem Dienst des besagten Klosters völlig und glücklich los. Aber dies alles brachte der Urheber in der Tat glücklich und klug zusammen wegen der Hoffnung auf das ewige Leben zuerst, wegen der Vergebung aller Sünden, wegen des Heils der Körper und der ewigen Ruhe der Seelen sowie wegen des täglichen Gedenkens an ihn selbst, an seine vorgenannte Ehefrau, an seine Söhne und Töchter und nicht zuletzt an alle Vorfahren und Nachkommen, seine Verwandten und Freunde und an alle seiner Sorge Unterstehenden, auch wegen des Gedenkens an die Könige, Bischöfe, Fürsten und alle, die den Zustand und die Ehre der besagten Zelle hochachten und bewahren, und an alle Christgläubigen; und er machte die Wohltat, soweit er es vermochte, allen Armen Christi als Zufluchtsort für immer zugänglich. Damit die jetzt versammelten und sich von nun an in Christus versammelnden Brüder dieses Klosters vollständiger und freier dem Herrn Gott in der Sicherheit des heiligen Bekenntnisses dienen können, befestigte er für sie auch auf diese Weise die Freiheit, dass sie, sobald sie ihres geistlichen Vaters beraubt sind, die freie Gewalt haben, gemäß der Regel des heiligen Benedikt unter sich oder woher nur immer, wenn möglich, einen Abt nicht allein zu wählen, sondern auch einzusetzen. Wenn die Brüder diesen regelgemäß wählen, kommen sie wie gewohnt im Chor des Klosters zusammen, um diesen einzusetzen, und der Dekan oder der, der Prior dieses Ortes ist, nimmt in Anwesenheit der Geistlichkeit, des Vogtes und der Klosterleute den Abtsstab vom Altar des heiligen Aurelius auf und gibt ihn ohne jeglichen Widerspruch in die Hand dessen, den die ganze Gemeinschaft der Brüder sich gewählt hat. Dieser daher kanonisch eingesetzte Abt möge erfüllen den angenommenen Dienst nach seinem Können und Wissen ohne Gewalt und Behinderung gegenüber irgendeiner Person und frei dienen einzig Gott gemäß der Regel sowie ganz und gar innerhalb und außerhalb [des Klosters] die freie Gewalt haben über alle ihm anvertrauten, in Christus einzurichtenden Dinge. Wenn er etwa es wagt, was fern sei, an der Notwendigkeit für das Kloster und dem gemeinsamen Nutzen der Brüder vorbei räuberisch ausschweifend und weltlich die verbürgte Freiheit, die Hofgemeinschaft, die klösterlichen Güter und Sachen zu missbrauchen, und er deswegen, die Warnungen der Brüder gering schätzend, dies grundlos für seine Begierde und Lust und der seiner Leute zerstreut oder wenn er an irgend-welche Personen außer den notwendigen Untergebenen dieses Klosters Lehen vergibt oder wenn er den Königen, Bischöfen oder anderen Personen beipflichtend zustimmt, wenn sie etwa versuchen, die Freiheit des Klosters zu verderben oder sich den heiligen Ort zu unterwerfen, oder fordern, dass von daher irgendwelcher Dienst für sie [dem Kloster] auferlegt werde, mögen die Nachkommen des besagten Grafen [Adalbert] mit Unterstützung der Brüder, des Vogtes, der ganzen Hofgemeinschaft und aller guten Leute den rechtmäßig von den Brüdern angeklagten und von diesen rechtmäßig überführten [Abt] seiner Würde entkleiden sowie die Brüder einen anderen gemäß der besagten Freiheit und der Regel des heiligen Benedikt wählen und jenen ohne jeglichen Widerspruch ersetzen. Der besagte Graf gestand der besagten [Kloster-] Zelle auch zu, von seinen Nachkommen einen zum Vogt zu machen, wenn der Abt dieses Ortes mit Rat der Brüder einen solchen findet, der wie der Graf nun nicht für die irdische Bequemlichkeit, sondern für himmlischen Lohn sorgfältig und eifrig die Güter und die verbürgte Freiheit und Gerechtigkeit des Klosters verteidigen will. Wenn [dies] aber nicht [der Fall ist], wählt er einen passenden und geeigneten Vogt woher auch immer, der ihm gefällt. Dieser empfängt endlich auf Bitten des Abtes vom König den rechtmäßigen Bann und kommt dreimal im Jahr, falls es notwendig ist, entweder zur [Kloster-] Zelle selbst oder irgendwohin oder wann es dem Abt gefällt, von jenem eingeladen, und führt dort ein rechtmäßiges Gericht für die Fälle und Notwendig-keiten des Klosters gesetzmäßig durch. Er [der Vogt (Adalbert)] erkennt an, dass ihm dafür kein anderes Geschäft, Recht oder Lehen überlassen wird außer dem dritten Teil des Banns und der gewohnheitsmäßigen Gerichtsbarkeit und der Rechtsprechung, das die übrigen Vögte bei anderen freien Klöstern haben, über Diebe, Frevel, Zinser und solch anderes und in jenen drei Tagen der [Vogt-] Gerichte jeweils einen Malter Getreide und einen Frischling und ein Maß Wein und das Übrige, was dazu gehört. Außerdem bestimmte er [(der Vogt) Adalbert], dass er außer auf Wunsch und Einladung des Abtes die Güter und Orte des Klosters nach Häufigkeit und ohne Grund sehr wenig besuche oder betrete, dass er nicht die Erlaubnis habe, mutwillig ein Gericht auf Klosterbesitz abzuhalten oder dort zu übernachten, dass er nicht für sich einen Untervogt einsetzt und dass er nicht völlig ohne Grund irgendeinen Rechtsstreit, einen Angriff oder ein Unrecht dem Kloster, Abt oder der Hofgemeinschaft zufügt. Wenn er sich aber nicht wie ein Vogt, sondern wie ein besserer Ränkeschmied oder Angreifer verhält, möge der Abt mit Rat der Brüder ganz und gar die Gewalt haben, ihn zu tadeln und einen anderen von woher auch immer zu wählen. Der besagte Graf [Adalbert] setzte auch fest und wir bestimmten auf dessen Bitte fest, dass wenn irgendeiner seiner Nachkommen oder irgendeine Person einen Weinberg, eine Manse, eine Mühle oder einen Wald, einen Hörigen oder irgendetwas Ähnliches von der oben genannten Zelle verwegen entfremdet, er mit unserer königlichen Macht und der unserer Nachfolger ge-zwungen werde, 3 Talente Gold an die Kasse des Königs zu zahlen, nachdem er zuerst das, was er unternommen hat, der Kirche wiederhergestellt hat. Wenn aber irgendjemand von jenen [Nachkommen], was fern sei, einen Hof oder ein Dorf gewaltsam entfremdet oder als überführter Eindringling in die Güter dieses Klosters auftritt oder wenn er versucht, dieses Zeugnis der Übergabe und Freiheit durch irgendeine List oder Verdrehung weltlicher Gesetze zu verderben oder zu zerbrechen, möge er ebenso an die königliche Kammer 100 Pfund Gold bezahlen und zuerst der Kirche und gemäß der Gesetze das zurückstellen, was er weggeschaft hat, und so sei sein Vorhaben ganz und gar ohne Erfolg. Auch möge er gegenüber den Dienstleuten und der klösterlichen Hofgemeinschaft dieses Gesetz und den Dienst zugestehen, den die übrigen [Hofgemeinschaften] in unserem Königreich frei gegenüber der Abtei haben, damit sie in allem desto treuer ihren Oberen dienen. Über dies alles hinaus hat der oft genannte Graf ein apostolisches Privileg erworben und festgesetzt, dass ein Goldstück, das wir Byzantiner nennen, jedes Jahr zu Ostern nach Rom an den Altar des heiligen Petrus durch den Abt des besagten Klosters gezahlt werde unter der Bedingung, dass die Bestimmungen dieser Freiheit und Übergabe auf diese Weise desto beständiger unverrückbar bestehen bleiben und dass das besagte Kloster unter dem Schutz und der Majestät der römischen Kirche immer sicher gefestigt ist und verteidigt wird, wenn etwa einer der Könige oder seiner Nachfahren oder irgendeine Person, was fern sei, es wagt, dieses Zeugnis mit irgendeiner List zu schwächen oder zu zerbrechen. Wenn aber dies, was fern sei, von irgendeiner jener [Personen] durch Aufwiegelung des Teufels gemacht wird, beschwört der Graf dieses [Zeugnis] und ruft ganz und gar den apostolischen Bischof zum Zeugen an durch Christus und durch den heiligen Apostel Petrus und den heiligen Bischof Aurelius sowie durch alle Heiligen Gottes und durch den Tag des furchtbaren Gerichts [Jüngstes Gericht], damit er [der Papst] jenen Verächter Gottes und seiner Heiligen sowie dem Zerstörer dieses Zeugnisses, wenn er nicht zu Verstand kommt, völlig dem Satan übergibt und ihn verflucht und trennt von den Gefährten und Söhnen der heiligen Kirche Gottes und den Erben des ewigen Lebens, damit auch Gott das Gedächtnis an ihn von der Erde der Lebenden löscht und dessen Namen aus dem Buch des Lebens streicht und damit er [der Täter] mit Dathan und Abyron, die die geöffnete Erde verschlungen und die Hölle lebend aufgesaugt hat, der ewigen Verdammnis anheimfällt, als Genosse des Herodes, Pilatus und Judas auf ewig gequält wird, mit den Sodomiten und Gomoriten Feuer und Schwefelregen erfährt, die Schläge und Prügel des Heliodor erduldet, gleichsam durch die Folter und die hervorquellenden Würmer des Antiochus verfaulend, elendigst zu Grunde gerichtet wird, und dass er, wenn er nicht zu Verstand kommt, auf Ewigkeit den Erzschlüsselträger Petrus des Königreichs der Himmel mit dem heiligen Aurelius und der ganzen Kriegerschaft der Paradiespforte gegen sich hat. Die Güter aber oder Orte, die zum besagten Kloster von alters her gehören und von dem Grafen jetzt zurückerstattet wurden, sind diese: zuerst der Ort Hirsau selbst mit den drei Dörfern, Lützenhardt, Altburg, Nagalthart, Hangstett, Deckenpfronn und was gelegen ist in Gültstein, in Stammheim mit ebenfalls drei Dörfern, Sommenhardt, Lützenhardt, beim heiligen Candidus, in Möttlingen, in Maichingen, in Grötzingen, in Münklingen, in Marchilingan drei Hufen und in Gumbrechtsweiler eine halbe. Diese aber hat der besagte Graf zu den vorgenannten [Gütern] hinzugefügt: Ottenbronn und was er besaß in Weiler mit zwei Dörfern, Grekkenbach und Blanda und in Biberach, in Bothnang, in Tambach, in Wahlheim zwei Hufen und 6 Joch Weingärten und in Gumbrechtsweiler eine halbe [Hufe] und die Kirche in Döffingen und in Malsch. Diese Güter stellte er mit den zu den besagten Orten gehörenden Hörigen wieder her und übergab sie dem besagten Kloster mit den Kirchen, Werkstätten, Weinbergen, Äckern, Wiesen, Wäldern, Weiden, Gewässern und Gewässerläufen, Fischereien, Mühlen, Erträgen und Todfallabgaben, bearbeitet und unbearbeitet, mit den Marken und gesetzmäßigen Grenzen; [er übertrug] auch die Verfügungen und die überprüften Rechte mit aller Redlichkeit seiner Anordnungen und dem Nutzen und den Einkünften, die auf jegliche Weise von nun an auftreten oder erweitert werden können. Aber damit der Zustand der besagten Übergabe und der Freiheit und alles zuvor Festgesetzte, das von Gott und seinen Heiligen bestimmt wurde, von diesem Tag an im ganzen Zeitalter in Christus gültig und unveränderlich bleiben, haben wir auf Bitte des besagten Grafen befohlen, dieses urkundliche Zeugnis aufzuschreiben, es mit eigener Hand bekräftigt und [befohlen], es durch den Eindruck unseres Siegels zu kennzeichnen.

Zeichen des Herrn Heinrichs IV., des unüberwindlichsten Königs. (M.) (SI.)

Ich, Kanzler Adalbero, habe statt des Erzkanzlers Siegfried rekognisziert.

Gegeben wurde dies an den 7. Iden des Oktober [9. Oktober] im Jahr der Fleischwerdung des Herrn eintausend 75, Indiktion 14, im 21. Jahr der Einsetzung des Herrn Königs Heinrich IV., im 19. Jahr aber des Königtums. Geschehen zu Worms. Im Namen Gottes glücklich [und] amen.

Die Schenkung des Grafen Adalbert geschah aber in Hirsau auf den Plätzen der Kirche ebenso im Jahr der Fleischwerdung des Herrn eintausend 75, Indiktion 13, an einem Montag, Mond 30, an den 18. Kalenden des Oktober [14.9.] am Festtag des heiligen Aurelius vor diesen Zeugen, die mit dem ganzen Volk dabeistanden und zuhörten: Graf Liutold von Achalm, Herr Adalbert von Entringen, Herr Liutfried von Kreßbach, Herr Adalbert von Bauschlott, Bubo vom Grunbach, Rudolf von Hallwangen, Herr Eberhard von Metzingen, Eberhard von Mühlen, Timo von Malmsheim, Liutbrand von Hausen, Herr Hesso von Sülchen, Herr Ulrich von Köngen, Altrich von Jungingen, Rudolf von Pfullingen, Manegold von Dätzingen, Arnold von Hausen, Adalgoz von Mindelau.

Bearbeiter: Michael Buhlmann

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