Quellen zur  Geschichte des Klosters Werden a.d. Ruhr II

815 - 9. Jahrhundert:

Werdensches Privileg - Gründung des Klosters Werden

Die nachstehende Quelle behandelt die Gründung des Werdener Klosters und seine Geschichte im 9. Jahrhundert. Einiges ist dabei aus der sog. Vita secunda, also aus einer um die Mitte des 9. Jahrhunderts in Werden aufgeschriebenen Vita des heiligen Liudger, übernommen, anderes bringt Neues, so etwa die Schilderung der Sorge der Mönche hinsichtlich der Bedrohung ihrer (nicht nur wirtschaftlichen) Existenz oder (damit zusammenhängend) der Bericht über die Bertoldschen Wirren im Kloster (nach 850), der gut zu der im ältesten Werdener Urbar überlieferten Urkunde des Friesen Folmar passt. Die Streitigkeiten müssen dabei den Bestand des Klosters auf schwerste erschüttert haben. Das Werdensche Privileg berichtet, dass sich die Mönche an den Königshof wandten und schließlich eine Synode zur ihren Gunsten entschied. Erst danach konnte der Liudgeride Hildigrim II. (853/64-886) als letzter aus dieser Familie die Leitung des Klosters übernehmen. In seine Amtszeit fiel auch die durch den ostfränkischen Herrscher Ludwig den Jüngeren (876-882) erfolgte Übertragung von Königsschutz, Immunität und freier Abtswahl an das Kloster (877).

[Überlieferung B: Privileg, das, während der heilige Liudger lebte, den Werdener Mönchen gegeben wurde; Überlieferung F: Dokument der Schüler des heiligen Liudger über die Gründung des Klosters Werden]

[Überlieferung B: Allen Getreuen Christi legen wir den Anfang und Ursprung der Anordnung des heiligen Vaters und unseres Schutzherrn, des Bischofs und Bekenners Liudger, bzgl. des Ortes und seines Klosters, das im Wald, der Weneswald heißt, am Fluss, der Ruhr genannt wird, am Ort, der Wideberg oder Werden heißt, liegt, als Angelegenheit der Wahrheit von früher dar, damit später im einzelnen ein gerechtes Urteil darüber angemessener erfolgen kann.]

Im Jahr der Fleischwerdung des Herrn 815, Indiktion 8, haben ich, Othelgrim, und Thietbald, Schüler des heiligen Bischofs Liudger, gemäß seinen Weisungen die Einrichtung seines Klosters aufgeschrieben. Bischof Liudger, geboren aus höchster Familie, war vor der Zeit seines Episkopats, als er versuchte, auf dem väterlichen Erbe ein Mönchskloster zu gründen, und zwar östlich des Flusses Rhein an einem Ort, der Wichmond heißt, dann aber wegen der ungewissen Zukunft in der Zeit der Normannen davon Abstand genommen hatte, durch eine höchste göttliche Eingebung bedrängt, zu einem bis dahin unbebauten und unwegsamen Ort gekommen in einem Wald, der Wenaswald heißt, oberhalb des Flusses, der Ruhr genannt wird. Ohne Verzug eilte er zu dem durch die himmlische Ankündigung ihm verhießenen Ort und erwarb von den Einwohnern und Erben jenes Landes manchen Teil des Erbes durch Tausch. Dann lenkte er seinen Weg nach Rom, wo er über die Klostergründung mit dem seligsten Papst Leo [III.] verhandelte. Nachdem dieser das Bemühen des heiligen Mannes sorgfältig registriert und den Vorschlag gelobt hatte, schenkte er jenem Reliquien unseres Erlösers, der heiligen Mutter Gottes Maria und nicht zuletzt der 12 Apostel, damit das Kloster, von dem er erzählte, in deren Namen erbaut werde. [Überlieferung B: Und er schrieb dort die heilige Regel des seligen Benedikts auf und nahm sie mit sich.] Dann kehrte er nach Hause zurück und errichtete an diesem Ort mit Rat und Erlaubnis des seligen Bischofs Hildebald [von Köln] eine Kirche, und dieser weihte sie bald darauf. Dann wurde unser Sachwalter zum Bischof erhoben [805], und er übergab sein ganzes Erbe an das Gedächtnis der Blutreliquie des Herrn und der vorgenannten Reliquien. [Überlieferung B: Und er schenkte dieser Kirche zusammen mit dem genannten Erbe Güter, und zwar - in vernünftiger Überlegung - auf ewig und darüber hinaus mit dem Schutz, dass das väterliche und erworbene Erbe des heiligen Mannes, das er an die vorgenannten Reliquien der Heiligen übertragen hatte, mit allem Zuwachs der Kirche sowohl von seiner Seite als auch von der Seite gegenwärtiger und zukünftiger Nachbarn als Zuwendung den Insassen der oft genannten Kirche erhalten bleibt, damit diesbezüglich die Gott demütig Dienenden vom Erbe aller ihren Lebensunterhalt beziehen können. Das Beispiel dieses heiligen Mannes ließ alle, sowohl Reiche als auch Arme, folgen, in nachfolgender Zeit ihr Erbe oder auch ihr Geld dieser Kirche zuzuweisen, damit die dort Gott Dienenden immer das haben, was sie für die Durchführung der Gebete zu Gott zum Leben brauchen.] Aber weil er keine Möglichkeit hatte, dort Mönche zu versammeln, bestellte ihn der König Karl [der Große] zum Lehrer des neuen Volks der Sachsen und Friesen, und jene waren ungebildet im Glauben. Und er konnte nicht wenige überzeugen, das weltliche Leben hinter sich zu lassen und ein klösterliches zu führen. Dieses Werk vollendeten mit Hilfe Gottes sein Bruder, der Bischof Hildigrim und sein Neffe Gerfrid, noch nicht Bischof, aber sein Nachfolger, und er schickte und übergab ihnen seine Schüler, wobei er dafür die Vortrefflichsten heranzog. Die Besagten [Hildigrim und Gerfrid] wandten sich an sie mit schmeichlerischen Reden und begannen mit den Worten: "Gott schätzt Gehorsam und Weisheit, liebste Brüder, und er tadelt die Törichten. Und anderswo sagt die Schrift: Legt euch die Brustwehr Gottes an, damit ihr gegen die Nachstellungen des Teufels bestehen könnt. Achtet daher das geregelte, klösterliche Leben." Diese sagten ihnen sofort: "Wir sind am wenigsten begierig darauf, das klösterliche Leben zu beschreiten, weil diese gegenwärtige Welt, während ihr dies weltfremd preist, von Tag zu Tag mehr altert; und andere Bischöfe werden kommen, und es wird, was geschrieben steht: Andere haben gearbeitet, und ihr seid in ihre Arbeit gekommen. Und sie zwingen uns oder unsere Nachfolger, mehr als unsere Hinfälligkeit ertragen kann, Gott durch freiwillige Opfer zu dienen, weil es geschrieben steht. Und sie sagen, dass dieser Ort ihnen gehört, weil er von ihnen gegründet und beschützt wurde." Der Bischof Hildigrim aber und Gerfrid, sein Neffe, antworteten klug genug: "Dazu raten wir euch, den heiligen Lebenswandel und den Lohn des Lebens zu empfangen, damit nicht Liudger diesen Ort irgend jemandem als Eigentum gibt oder anvertraut, ihr hingegen die freie Möglichkeit auf ewig habt, dort zu bleiben, dies zu besitzen und im Inneren und nach außen zu lenken und das Leben eines Mönchs zu führen, insoweit der göttliche Einfluss euch dazu Stärke gibt, so wie es geschrieben steht: Wenn ich meine Herde spazieren gehen lasse, kommen sie alle an einem Tag um." Sie hörten diese barmherzige Unterweisung, und etliche von den edlen Vasallen des Bischofs Hildigrim und seines Neffen Gerfrid übergaben, bewegt von göttlicher Liebe, ihre Söhne an die vorgenannten [Reliquien] aus der Überlegung heraus, dass sie, wenn sie sich um jene Barmherzigkeit und Freiheit verdient machten, im klösterlichen Leben und Gott dienend dort bleiben würden. Und so übergaben sie alle, die nachher Liudgers Söhne wurden, dem Joch Christi und handelten nach dem Gesagten. Nachdem so eifrig Boten ausgeschickt wurden [, um darüber zu berichten], veranlassten Hildigrim und Gerfrid, den heiligen Liudger zu erwarten. Als dieser mit großer Schnelligkeit zu ihnen kam, empfingen sie ihn mit den Worten: "Deine Schüler weisen es zurück, die Regel zu empfangen, und sagen, dass sie fürchten, nach unserem Tod irgendwelche ihnen entgegenstehende Personen über sich zu haben, und daher durch ihn mehr eine Gründung erlangen wollen, die deren Natur nicht beseitigen kann." Darauf sagte Liudger: "Wer dies macht, wird mit Bann belegt und wird am Tag des Gerichts mir gegenüber die Gründe angeben, warum er diesen Ort so begehrte, den nicht allein die göttliche Voraussicht mir gezeigt hat, sondern den sie auch offen bezeichnete als den Ort, um dorthin zu gehen oder von dort wegzugehen, abhängig davon, ob es mir gelungen wäre, den Ort und die Mittel zu erwerben." Veranlasst durch diese schrecklichen Worte, sagten sie: "Wenn irgendeiner von unseren Erben oder irgendeine entgegenstehende Person jemals, was fern sei, diese unsere Einrichtung oder Schenkung zu brechen oder zu verändern wagt, verfalle er dem Zorn des himmlischen Gottes und werde getrennt von der Gemeinschaft der heiligen Engel und auf ewig von allen Heiligen verdammt." Und sie kamen in seinem Namen zusammen zu diesem Kloster und übergaben an einem Sonntag ihr ganzes Erbe zu Recht und Herrschaft der dort Gott dienenden Brüder; und so endlich nahmen die besagten Schüler, die da waren, an diesem Sonntag das Gewand des heiligen Lebenswandels an in der Art, wie wir zuvor erzählt haben. Und keiner hatte von diesem Tag an dort Amtsgewalt, es sei denn mit Zustimmung und Wahl der Brüder, bis ein gewisser Bertold, ein Verwandter eines der Ihren, verführt durch den Rat seiner Freunde, das Kloster ungerecht heimsuchte und sich davon lossagte. Unsere Brüder ertrugen dies nicht, gingen an den [königlichen] Hof und sprachen vor der heiligen Synode. Durch das Urteil des Erzbischofs Liudbert [von Mainz] seligen Angedenkens und vieler anderer wurde beschlossen, dass die Mönche Erben jenes Klosters seien und die Wahl [des Abtes und anderer] unter sich hätten; ohne Zustimmung und Willen der dort Gott dienenden Mönche sei niemandem die Leitung zu übertragen, und zwar weil es nichts weiter gibt außer dem Erbe Liudgers und seiner Nachfolger und der darauf wohnenden Mönche; Bertold müsste aber als ungerechter Ankläger gerechterweise dies[es Kloster] verlassen. Nicht lange danach ereilte Bertold ein unglücklicher Tod und der Bann dreier Bischöfe, des heiligen Liudger, Hildigrims, dessen Bruder, und Gerfrids, beider Neffen; aber die lasterhafte Seele kehrte, wie zu fürchten war, wieder zurück. Aber weil Hildigrim der Jüngere der Verwandte des heiligen Liudger und in jener Zeit schon Bischof war, wählten die dort Gott dienenden Brüder ihn zum Abt, auf dass er, wie er versprochen hatte, sie hinsichtlich des alleinigen Schutzes in königliche Hände übergab mit Zustimmung der Brüder, damit keiner das Kloster angreife oder es zu irgendeiner Zeit jemandem zu übergeben wage. Dies alles erfüllte er voll und ganz so, wie er versprochen hatte. Dabei setzten die Schlechtmeinenden das Gerücht in Umlauf, dass das Kloster im Elend sei, so dass er dem König dies als Eigentum schenkte, dass er dies aber nicht durchführen konnte, weil er es niemals als Eigentum besaß. Wenn irgendwer im übrigen hiernach, was wir nicht wünschen, es wagt, im Geist verwirrt, diese Einrichtung zu schädigen oder gänzlich zu verändern, muss jener von uns aufgefordert werden, der sagt: Die Rache ist mein, ich will vergelten, damit er, durch die Unterstützung der heiligen Mutter Gottes, der 12 Apostel und unseres Schutzherrn Liudger sowie aller seiner Heiligen ermuntert, sich erhebt und sein Urteil fällt. Amen. [Buhlmann]

Fundatio monasterii Werthinensis, in: SS 15, S.164-168; Diekamp, Vitae sancti Liudgeri, S.232.