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Essen-Steele

1075 Jahre Steele

Essen-Steele

Lage

Der Stadtteil Steele der nordrhein-westfälischen Großstadt Essen liegt am nördlichsten Punkt der großen Ruhrschleife bei (Essen-) Überruhr-Hinsel. Steele liegt zwischen 56m und 60/75m über NN hoch. An von Menschen genutzten Böden sind auszumachen: Auenboden der Ruhr, Bachablagerungen, Lehmboden aus umgelagerten Löss. An vor- und frühgeschichtlichen Funden können eingeordnet werden: ein frühbronzezeitliches Randleistenbeil aus Bronze (Königssteele), eine Bronzemünze des römischen Kaisers Domitian (n.81/96).

Actum in Stela - Steeler Hoftag (938)

Der fränkisch-ostfränkisch-deutsche König auf Reisen gehört zu den wesentlichen Faktoren mittelalterlicher (ambulanter) Herrschaftsausübung in Krieg und in Frieden. Karl der Große (768-814) startete einige seiner Feldzüge nach Sachsen hinein von der Lippemündung (Lippeham) oder vom Kölner Raum aus, aber auch das Ruhrmündungsgebiet wird als Aufmarschraum gedient haben, ohne dass Genaueres darüber in Erfahrung gebracht werden kann. Dem Hellweg als der Verbindung zwischen dem Niederrhein bzw. Niederlothringen und Westfalen bzw. Sachsen, als der via regis zwischen West und Ost kam damals (und in früherer und späterer Zeit) eine besondere Bedeutung zu. Duisburg am Schnittpunkt von Hellweg und Rhein war eine wichtige Etappenstation nicht nur der ostfränkisch-deutschen Herrscher. Der Übergang des Hellwegs über die Ruhr erfolgte dabei etwa bei Mülheim oder auch bei (Essen-) Werden. So sind für Duisburg, Werden und Steele auf Grund ihrer Lage in der Hellwegzone Königsaufenthalte belegt. Eine Einbindung Steeles in das frühgeschichtlich-mittelalterliche System der Verkehrswege ist möglicherweise durch die benachbarte Furt der Ruhr bei Vryburg bzw. Haus Horst gegeben. Dabei überquerte eine Verbindung zum Hellweg, die auf der Höhe der Steeler Berge nach Süden abzweigte, den Fluss; von dort ging es über Burgaltendorf, Velbert und Heiligenhaus südlich der Ruhr weiter nach Duisburg.

Duisburg kam als Vorort des früh- und hochmittelalterlichen Duisburg-Kaiserswerther Grafschaft und als Zentrum von Reichsgut in der Zeit der ottonischen Herrscher eine besondere Bedeutung zu. König Heinrich I. (919-936) hielt hier 929 eine Kirchensynode ab, Aufenthalte in der Pfalz sind für Otto I. (936-973; 955, 966), Otto II. (973-983; 973, 976, 979), Otto III. (984-1002; 985, 986, 993, 1001) und Heinrich II. (1002-1024; 1002, 1005, 1009, 1016) überliefert. Wie häufig waren es allgemeine Gerichts- und Verwaltungstätigkeiten, die den König veranlassten, an einem gewissen Ort zu verweilen und dort Urkunden über die verfügten Rechtsakte zu erlassen. Nur pauschal können die wirtschaftlichen Grundlagen der Königsgastung herausgestellt werden. Dabei handelte es sich um Leistungen im Rahmen des servitium regis ("Königsdienst"), um (Natural-, später Geld-) Aufwendungen im Rahmen der Verpflegung von König, königlicher Familie und Gefolge. Da König und Gefolge einige hundert bis über 1000 Personen umfassen konnten, war die Versorgung des reisenden Königs beträchtlich und konnte Rinder, Schweine, Ferkel, Pfauen, Hühner, Käse, Eier, Brot, Bier, Schüsseln und Becher umfassen, wie sie ein Werdener Urbar aus der Mitte des 11. Jahrhunderts aufzählt. Die entsprechenden Urbareinträge können in den Zusammenhang mit dem auch religiös-kultisch-liturgisch geprägten Besuch der Werdener Abtei durch König Heinrich II. zu Pfingsten 1017 gestellt werden. Noch einmal sollte ein deutscher Herrscher in Werden Aufenthalt nehmen: Konrad III. (1138-1152) urkundete hier für die Duisburger Bürger (1145).

Steele, der Ort des Hoftags Ottos I. des Großen im Jahr 938, gehörte im frühen und hohen Mittelalter zum sächsischen Herzogtum; er lag in der sächsisch-fränkischen Grenzzone, dem fränkischen Ruhrgau (entlang der unteren Ruhr) benachbart. Über den Hoftag berichtet der ottonische Historiograf Widukind von Corvey (†n.973) zum Jahr 938. Im Mai 938 behandelte der Hoftag die Fehde zwischen Herzog Eberhard von Franken (911-939) und dessen Vasallen Bruning und sprach sich in einer Erbrechtsentscheidung zwischen Eintritts- und Anwachsungsrecht zu Gunsten des Ersteren aus. Anzumerken bleibt noch, dass wohl die Reichsabteien Werden und Essen die Versorgung der bei der villa Stela Anwesenden übernommen hatten. Zu bemerken bleibt ebenfalls, dass der König sich an einem der Essener Frauengemeinschaft gehörenden Fronhof aufgehalten hat. Neben den Klostergebäuden in Werden und der Pfalz in Duisburg ist dies also eine weitere Variante der baulichen Ausstattung königlicher Aufenthaltsorte. Ein Laurentiuspatrozinium des 10. Jahrhunderts vorausgesetzt, war die (Laurentius-) Kirche in Steele vielleicht eine Kapelle des dortigen Königshofes.

Bezeugt ist der Steeler Hoftag zudem urkundlich. Das originale lateinische Diplom vom 18. Mai 938 ist indes nicht erhalten, hingegen eine Abschrift im Großen Kopiar des Osnabrücker Domstifts aus der Mitte des 15. Jahrhunderts und eine gleichlautende lateinische Urkundenabschrift aus dem 18. Jahrhundert. Die Urkunde beinhaltet die Bestätigung der Immunität für das Bistum Osnabrück durch König Otto den Großen. Die Urkunde nennt schließlich noch den Aufenthaltsort: actum in Stela ("geschehen/verhandelt in Steele"). Auch Widukind von Corvey erwähnt - wie gesehen - zum Jahr 938 den Hoftag apud villam quae dicitur Stela ("im Ort, der Steele genannt wird"). Der zeitlich nächstfolgende Ortsnamenbeleg stammt aus dem 12. Jahrhundert und lautet Stale. Der Ortsname "Steele" steht dann wahrscheinlich für "steil" und bezeichnet einen "steilen Ort".

Geschichte

Die Limburger Vogteirolle (um 1220) und das Essener Kettenbuch (14. Jahrhundert) erwähnen Steele als zur Eickenscheidter Villikation des Essener Frauenstifts gehörig. Zum Jahr 1314 wird erstmals die Steeler Pfarrkirche (als Vorgängerin der heutigen Laurentiuskirche von 1873) erwähnt. Das spätmittelalterliche Dorf Steele im Essener Stiftsgebiet entwickelte sich in der frühen Neuzeit zu einer Kleinstadt, die als Freiheit, Flecken oder Stadt bezeichnet wurde. Bürgermeister (1491) und ein Ortsvorstand, die Stadtmauer, eine innerstädtische Gliederung (1548; Steeler Stadtbrand 1548) sowie bürgerliche Statuten (1549) sind seit dem 15./16. Jahrhundert nachweisbar. Steele erhielt 1578 von der Essener Äbtissin und Landesherrin Marktrecht und Stadtsiegel (drei Ringe vor goldenem Hintergrund). Zum Jahr 1580 werden bei Steele Kohlengruben genannt, am Ort gab es eine Schmiedegilde (1467), Büchsenmacher (17. Jahrhundert) und Zünfte der Textilverarbeitung (1683, 1751). Nach der Überwindung reformatorischer Einflüsse lebten in Steele Ende des 17. Jahrhunderts wieder überwiegend katholische Einwohner. Im 18. Jahrhundert residierten in Steele zeitweise die Essener Fürstäbtissinnen (Schloß Auf der Lucht 1699), Äbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach (1724-1776) stiftete im Ort das barocke Waisenhaus (Franziska-Christina-Stiftung 1769). Eine 1787/94 erbaute Chaussee verband Steele mit Essen. Im Zuge der Säkularisation wurde Steele mit seinen damals über 1200 Einwohnern preußisch (1803/15); in der Zeit der französischen Besetzung war der Ort Mittelpunkt einer Mairie (Bürgermeisterei).

In der Zeit der Industrialisierung nahmen der Kohlenbergbau, auch die Schwer- und Glasindustrie einen enormen Aufschwung. Parallel dazu entwickelte sich eine moderne Infrastruktur (Ruhrschifffahrt bis 1889, Eisenbahn 1862, Ruhrbrücke 1886). Die Stadt Steele wurde 1926 um die Orte Königssteele, Horst, Eiberg und Freisenbruch erweitert, dann 1929 in die Großstadt Essen eingegliedert. Im Zweiten Weltkrieg (1939-1945) wurde Steele vergleichsweise geringfügig zerstört. Die im Großen und Ganzen überalterte Bausubstanz der Steeler Innenstadt wurde in den 1970er-Jahren (mit allen daraus resultierenden Vor- und Nachteilen) saniert; Steele ist heute Stadtteilzentrum mit Handel, Gewerbe und Dienstleistung, in dem knapp 18000 Einwohner leben.

An alter bis älterer Bausubstanz sind in Steele noch erhalten: Reste der Steeler Stadtmauer (15. Jahrhundert), Fachwerkhäuser des 18. Jahrhunderts, Wohn- und Geschäftshäuser des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, Gebäude staatlicher Institutionen (Spar-/Stadtkasse 1864, Post 1874, Amtsgericht 1879, Schulen; 19./20. Jahrhundert), Kirchen (evangelische Friedenskirche 1872, Laurentiuskirche 1873/75, Mariensäule 1889; 19./20. Jahrhundert), jüdischer Friedhof (1855), Steeler Wasserturm (1898), Stadtgarten (1910/11). Viele Baulichkeiten haben die Moderne nicht mehr erlebt wie das Isinger Tor (1842 nach einem Brand abgebrochen), die Vorgängerkirche der heutigen Laurentiuskirche u.a.

Literatur, Abkürzungen: BRANDT, M., Denkmalführer durch Essen-Steele, Essen 2006; BECHER, M., Otto der Große. Eine Biographie, München 2012, S.123f; DERKS, P., Die Siedlungsnamen der Stadt Essen. Sprachliche und geschichtliche Untersuchungen (= EB 100), Essen 1985, S.97f; EB = Beiträge zur Geschichte von Stift und Stadt Essen; Essen-Steele, in: Rheinisches Städtebuch, hg. v. E. KEYSER (= Deutsches Städtebuch. Handbuch städtischer Geschichte, Bd.III: Nordwest-Deutschland: 3. Landschaftsverband Rheinland), Stuttgart 1956, S.171-174; Essen-Steele, bearb. v. M. BUHLMANN, in: Handbuch der historischen Stätten Nordrhein-Westfalens, hg. v. M. GROTEN, P. JOHANEK, W. REININGHAUS u. M. WENSKY (= Kröner Tb 273), Stuttgart 32006, S.348f; FEHSE, M., Die Stadt Steele im Stift Essen, in: BURGHARD, H., DUPKE, T., FEHSE, M., GERCHOW, J., HOPP, D., WISOTZKY, K., Essen. Geschichte einer Stadt, hg. v. U. BORSDORF, Bottrop-Essen 2002, S.229-233; GREVEL, W., Die Statuten der früheren Gilden und Ämter in der Stadt Steele und im übrigen Hochstift Essen, in: EB 8 (1884), S.85-107; HENSING, M., Steele ... unvergessen, Essen 2001; JAHN, R., Der Hoftag König Ottos I. bei Steele im Mai 938, in: EB 56 (1938), S.7-90; KAISER, R., Das Ruhrgebiet im Itinerar der früh- und hochmittelalterlichen Könige, in: Vergessene Zeiten, Bd.2, S.12-19; KAISER, R., Der Hoftag in Steele (938), in: Vergessene Zeiten, Bd.2, S.20ff; KRAMER, H.J., Münzfunde in Essen, in: MaH 43 (1989), S.77-109, hier: S.79ff; MaH = Das Münster am Hellweg; MARSCHALL, A., NARR, K.J., USLAR, R. VON, Die vor- und frühgeschichtliche Besiedlung des Bergischen Landes (= ZBGV 73), Neustadt a.d. Aisch 1954, S.44; MGH = Monumenta Germaniae Historica; MGH DOI = Die Urkunden Konrads I., Heinrichs I. und Ottos I., hg. v. T. SICKEL (= MGH. Diplomata. Die Urkunden der deutschen Könige und Kaiser, Bd.1), 1879-1884, Ndr München 1980, DOI 20; SCHANETZKY, T., Endstation Größenwahn. Die Geschichte der Stadtsanierung in Essen-Steele, Essen 1998; Steele. Tausend Jahre seiner Geschichte in Einzelbildern, Bd.1, v. F.W. DEGER, Essen 1981; TEWES, L., Der mittelalterliche Kirchsprengel Steele mit seiner Besiedlung in Kray und Leithe, in: MaH 49 (1996), S.60-75; Vergessene Zeiten. Mittelalter im Ruhrgebiet, hg. v. F. SEIBT (= Ausstellungskatalog), 2 Bde., Essen 1990; VOIGT, C., Schönes Steele, Essen 1999; Widukind von Corvey, Res gestae Saxonicae. Die Sachsengeschichte. Lateinisch/Deutsch, hg. v. E. ROTTER u. B. SCHNEIDMÜLLER (= RUB 7699), Stuttgart 1981, II,10; ZBGV = Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins.

Bearbeiter: Michael Buhlmann

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