Quellen zur Kaiserswerther Geschichte

1071 Dezember 29, Worms:

Diplom König Heinrichs IV. - Schenkung an das Kaiserswerther Kanonikerstift

Die sich im 11. Jahrhundert als Kanonikerstift darstellende geistliche Gemeinschaft in Kaiserswerth steht im Mittelpunkt der nachstehend aufgeführten Urkunde König Heinrichs IV. (1056-1106). In dem lateinischen Originaldiplom - mit Chrismonzeichen (C.), Hochschrift, Monogramm (M.) und aufgedrücktem, aber fast zur Hälfte zerstörtem Wachssiegel (SI.) - schenkt der Herrscher den Kanonikern zur Vermehrung ihrer festtäglichen Brotrationen, der Brotpräbende als Teil des Unterhalts, Besitz in der näheren und weiteren Umgebung von Kaiserswerth aus dem Lehen des Dienstmanns Guntram. Im Gegenzug wurden die Kleriker verpflichtet, täglich für das Seelenheil Heinrichs und seiner Familie, der Lebenden wie der Verstorbenen, zu beten.

(C.) Im Namen der heiligen und ungeteilten Dreieinigkeit. Heinrich, begünstigt durch göttliche Gnade König. Wenn wir den Kirchen Gottes Ehre erweisen und dafür sorgen, sie zu erweitern und hervorzuheben, so haben wir sowohl die sichere Hoffnung als auch den Glauben, dass daraus Festigkeit dem Königreich erwächst, uns aber Heil in diesem wie auch im zukünftigen Leben. Daher wollen wir, dass überall in unserem Königreich verkündet und veröffentlicht wird, dass wir [das Folgende] veranlasst haben für die Kaiserswerther Kirche zu Ehren Gottes und des heiligen Bekenners Suitbert, der in dieser Kirche und den Teilen ruht und Wunder wirkt: Unser Kaplan Siegfried, der Propst dieses Ortes, sprach nämlich demütig und ehrerbietig die Majestät unserer Thrones an und forderte von unserer Gnade für seine Brüder, die dort dienen, an den einzelnen Festtagen ein halbes Brot mehr. Wir versprechen aber, seine Bitte zu erfüllen, zumal unsere geliebte Königin Bertha sich dafür eingesetzt hat, und schenken mit Unterstützung auch unserer Getreuen, nämlich des Kölner Erzbischofs Anno, des Hamburger Erzbischofs Adalbert, des Bischofs Eppo von Zeitz, des Osnabrücker Bischofs Benno, des Bischofs Adalbert von Worms, des Bischofs Heinrich von Speyer, des Straßburger Bischofs Werner, auch der Herzöge Rudolf von Schwaben, Welf von Bayern und Otto von Sachsen, an die besagte Gemeinschaft des heiligen Suitbert zur Vermehrung der Pfründe der Brüder das, was Guntram, der Dienstmann unseres Vaters, hatte als Lehen in der Grafschaft des Pfalzgrafen Hermann und in den Orten [Duisburg-] Mündelheim, Rheinheim, [Mülheim-] Serm, [Düsseldorf-Unter-] Rath, Mettmann, [Solingen-] Wald, Scheven [bei Ratingen-Homberg] [und] [Krefeld-] Oppum. Wir geben [dies] aber gemäß königlicher Sitte zu dauerndem Eigentum mit allem Zubehör - das ist: Hörige beiderlei Geschlechts, Grundstücke, Gebäude, Abgaben und Einnahmen, bebautes und unbebautes Land, Wege und Unwegsames, Äcker, vermessen und ausgesucht, Weiden, Wiesen, stehende und fließende Gewässer, Mühlsteine, Mühlen, Fischereien, Wälder - und mit all dem Nutzen, der in jeder Hinsicht auftreten oder vorkommen kann. [Dies geschieht] unter der Bedingung, dass dort an jedem Tag eine Messe gelesen werde für die Seelen unserer Vorfahren, unseres Großvaters Konrad [II.], unseres Vaters seligen Angedenkens, des Kaisers Heinrich [III.], und nicht zuletzt unserer Mutter Agnes, und wegen unseres ewigen Heils. Damit also diese unsere königliche Schenkung in jeder Zeit fest und unveränderlich bleibt und sie auch den Späteren zur Kenntnis gelangt, haben wir befohlen, das Schriftstück zu beurkunden und dieses, mit eigener Hand bekräftigt, durch den Eindruck unseres Siegels zu bestätigen und zu unterzeichnen.

Zeichen des Herrn Heinrich IV. (M.), des unbesiegbarsten Königs.

Ich, Kanzler Adalbero, habe statt des Erzkanzlers (SI.) Siegfried rekognisziert.

Gegeben an den 4. Kalenden des Januar [29.12.] im Jahr der Fleischwerdung des Herrn eintausend 72, Indiktion 10, aber im 18. Jahr der Einsetzung des Herrn König Heinrich, im 16. Jahr aber des Königtums; geschehen zu Worms; im Namen Gottes selig; amen. [Buhlmann]

Lateinische Originalurkunde, besiegelt; Pergament. - MGH DHIV 247; NrhUB I 216; RhUB II 193. - Zur Datierung: Das Tagesdatum bestimmt sich nach dem römischen Kalender mit den zentralen Tagen Kalenden, Nonen und Iden im Monat. Man rechnete von den zentralen Tagen unter Mitzählung des Anfangs- und Endtages zurück. Es folgt damit als Tagesdatum der 29. Dezember. Nun kann mitunter die Datierung von Urkunden, die am Ende (oder in den ersten Monaten) eines Jahres ausgestellt wurden, hinsichtlich des Ausstellungsjahres Schwierigkeiten bereiten. Es gilt nämlich, verschiedene Jahresanfänge zu berücksichtigen. Aus dem Mittelalter sind überliefert der Nativitätsstil (Jahresanfang: Weihnachten, 25. Dezember), der Circumcisionsstil (Jahresanfang: Neujahr, 1. Januar), der Annunciationsstil (Jahresanfang: Mariä Verkündigung, 25. März) und der Osterstil (Jahresanfang: Ostersonntag). Nur beim Nativitätsstil erhält man den 29. Dezember im damaligen Jahr 1072, was gemäß der Jahreszählung mit Jahreswechsel am 1. Januar dem Jahr 1071 entspricht. Bei einem anderen Jahresstil müsste das Diplom in das Jahr 1072 zu setzen sein. Neben der Inkarnationsrechnung, d.h. der Einordnung des Jahres nach Christi Geburt, enthält das Diplom nun noch weitere Jahreszählungen: Indiktion und Zählung nach Jahren der Ordination bzw. nach Regierungsjahren. Die Indiktion (Römerzinszahl, kaiserliche Zahl) gibt die Zahl an, die ein Jahr in einem aus spätrömischer Zeit stammenden 15-jährigen (Steuer-) Zyklus einnimmt. Da im Mittelalter verschiedene Indiktionsanfänge benutzt wurden - etwa der 24. September bei der bedanischen oder der 25. Dezember bzw. 1. Januar bei der römischen Indiktion -, kann auch von der Indiktion her nicht entscheiden werden, ob nun das Jahr 1071 oder 1072 mit der urkundlich genannten "Indiktion 10" gemeint ist. Es bleibt noch die Zählung nach den Jahren der Ordination (Einsetzung zum König) und nach Regierungsjahren. Kaiser Heinrich III. (1039-1056) ließ Anfang November 1053 in der Triburer Pfalz (südlich von Frankfurt a.M.) seinen Sohn Heinrich (IV.) als Nachfolger ins Königtum wählen; der Wahl folgte am 17. Juli 1054 in Aachen die Weihe und Krönung. Das 18. Jahr seit der Ordination begann also mit dem 17. Juli 1071 und endete am 16. Juli 1072. Das erste Regierungsjahr Heinrichs IV. begann mit dem Tod seines Vaters am 5. Oktober 1056, das 16. am 5. Oktober 1071. Damit liegt - der Datierung im Diplom entsprechend - der 29. Dezember 1071 im 18. Ordinations- und im 16. Regierungsjahr Heinrichs. 1071 ist also das Jahr der Urkundenausstellung, und der Nativitätsstil fand damals als Jahresanfang in der königlichen Kanzlei Verwendung.