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Ruhrgebiet, Niederrhein, Westfalen
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Essen

I. Anfänge. Die Anfänge der Essener Frauengemeinschaft reichen in die Mitte des 9. Jahrhunderts zurück, wobei - ähnlich wie bei Gerresheim - eine Anknüpfung an eine schon bestehende, ältere Siedlung wahrscheinlich ist. Die gegen Ende des 11. Jahrhunderts gefälschte Gründungsurkunde verweist auf Bischof Altfrid von Hildesheim (847-874), der wahrscheinlich zusammen mit seiner Verwandten (Schwester?) Gerswid die Frauengemeinschaft in Essen stiftete; Gerswid war auch die erste Äbtissin der Kommunität. Mochte die Aachener Synode von 816 auch eine Unterteilung in "Kanonikerinnen" und "Nonnen" bestimmt haben, so sah die Realität "vor Ort" doch anders aus, waren die Übergänge von einem zum anderen Typus geistlicher Kommunitäten fließend oder passte - wie im Essen des frühen Mittelalters - das Leben der religiösen Frauen weder in das eine noch in das andere Schema. Mit anderen Worten: Eine "stiftische" Lebensweise adliger Frauen wird in Essen erst im Laufe der folgenden Jahrhunderte erkennbar, kann aber für das 12. Jahrhundert schon angenommen werden, während frühestens im 13. Jahrhundert die Reichsabtei als ecclesia secularis ("weltliche Kirche") bezeichnet wird.

Foto: Michael Buhlmann (Essener Münster)

II. Frauengemeinschaft und Königtum. Die Krise der Essener Eigenkirche im Besitz der Familie Altfrids ließ die Frauengemeinschaft irgendwann zwischen dem Tod Altfrids (874) und dem Anfang des 10. Jahrhunderts in die Verfügung des ostfränkisch-deutschen Königtums gelangen. Die auch materielle Unterstützung der Herrscher leitete dabei eine günstige Entwicklung ein. Seit dem 10. Jahrhundert stellte sich die Kommunität als eine unter Königsschutz stehende und mit Immunität (947, 991), Zoll und Markt (973, 1041) begabte geistliche Gemeinschaft dar. Die guten Verbindungen zum Königtum fanden nicht zuletzt in den verwandtschaftlichen Beziehungen einiger Essener Äbtissinnen zu den sächsischen Kaisern ihren Ausdruck. So war Mathilde (971-1011) Enkelin Ottos des Großen (936-973), Sophia (1012-1039) Tochter und die schon genannte Theophanu Enkelin Ottos II. und der byzantinischen Prinzessin Theophanu (*ca.960-†991). Der herrschaftliche Anspruch einer Reichsabtei dokumentierte sich nicht zuletzt im Neubau der (Münster-) Kirche; es entstanden auch bedeutende religiöse Kunstwerke der ottonischen Zeit. Seit Äbtissin Swanhild (1058-1085) sind dann engere Beziehungen zu den deutschen Herrschern nicht mehr nachweisbar. Vielmehr zeigen sich im 12. Jahrhundert Risse im System von Grundherrschaft und geistlicher Machtstellung; die Rolle der Ministerialen (Dienstleute) wuchs, Kirchenvogt und Äbtissin standen in einem zunehmenden Gegensatz.

III. Stadtwerdung Essens. Während des Hochmittelalters bildeten sich in Essen zwei Zentren aus (sog. topografischer Dualismus). Hier das Frauenstift mit seinen Baulichkeiten und der Münsterkirche innerhalb der Stiftsimmunität, dort eine Handwerker- und Kaufleutesiedlung mit Marktrecht, die im Verlauf des 13. Jahrhunderts - erwähnt sei der Bau der Stadtmauer (1244) - an Eigenständigkeit gewann und zur Stadt und Bürgergemeinde wurde. Parallel zur Ausbildung der Stadt verdichteten sich Rechte und Besitz des Stiftes in der Essener Umgebung zur Landesherrschaft der Äbtissin. Doch blieb diese im Verhältnis zur Stadt einerseits und zur Stiftsvogtei andererseits nicht unumstritten. Das 13. Jahrhundert ist bzgl. der so genannten Essener Vogteifrage von großer Wichtigkeit. Es ging hierbei um freie Vogtwahl und Reduzierung der Vogteirechte auf der einen, um Erblichkeit der Vogtei und Kompetenzerweiterung bei gleichzeitigem Kampf niederrheinischer Fürsten um die Vogtei auf der anderen Seite. Nun erlangte zwar die Äbtissin den Status einer Reichsfürstin, doch war sie durch die Essener Vogtei massiven politischen Einschränkungen unterworfen.

IV. Das späte Mittelalter. Die Herrschaft der Abtei in deren Territorium war durch mächtige Vögte bedroht wie dem Grafen Friedrich von Altena-Isenburg (1211-1226) oder den Kölner Erzbischöfen. Nach der Schlacht bei Worringen (1288) fiel die Vogtei an die Grafen von der Mark und verblieb auf Grund eines Vogteivertrages (1308) dort, dann - nach der Erbvereinigung des Herzogtums Kleve und der Grafschaft Mark (1398) - beim Herzogtum Kleve-Mark. Versuche der Kölner Erzbischöfe, im Rahmen des kölnisch-klevischen Gegensatzes die Essener Vogtei wiederzugewinnen, scheiterten im 1. Äbtissinnenstreit (1290-1309) und mussten spätestens mit der für Köln unglücklich verlaufenden Soester Fehde (1445-1449) endgültig aufgegeben werden. Streitigkeiten innerhalb des Hauses Kleve-Mark (1423-1429) und der damit verbundene 2. Äbtissinnenstreit (1426-1429) belasteten Stift und Stadt Essen ebenfalls. Die Stifts- und Landesherrin hatte es aber immerhin verstanden, ihr Territorium und anfangs auch die Verfügung über Stadt, Gerichtsgewalt und Münze zu behaupten.

Das Verhältnis von Stadt und Äbtissin war gerade im Verlauf des 14. Jahrhunderts einem starken Wandel unterworfen. Die Weigerung der Stadt, der Äbtissin Katharina von der Mark (1337-1360) zu huldigen, und der Ausschluss des stiftischen Stadtrichters, des Schultheißen vom Viehof, bildeten dabei den Auftakt. Eine Stärkung der städtischen Ratsverfassung brachten zudem der Ausbau einer selbstständigen Verwaltung und die Etablierung zweier Bürgermeister. Der Konflikt zwischen Stift und Stadt eskalierte und konnte erst im so genannten Großen Schied vom 20. Februar 1399 durch einen Kompromiss beigelegt werden, der für die Stadt eine weitgehend innere Autonomie bei gleichzeitiger Anerkennung der Äbtissin als Landesherrin bedeutete. Trotzdem blieb der Status der Stadt im Territorium der Essener Äbtissin weiterhin ungeklärt. Es sei diesbezüglich an Kaiser Karl IV. (1347-1378) erinnert, der in der "Goldenen Bulle" (1357) und in weiteren Urkunden der Stiftsherrin ihre Privilegien bestätigte, hingegen der Stadt Essen Reichsunmittelbarkeit bescheinigte (1377). Das Essener Mittelalter fand ereignisgeschichtlich seinen Abschluss im 3. Äbtissinnenstreit (1489-1504), ausgelöst durch eine Doppelwahl im Stiftskapitel. Damit einher ging der Erbvogteivertrag mit dem Herzogtum Kleve-Mark (1495), der endgültig die politische Abhängigkeit des kleinen Essener Territoriums von seinem mächtigen Nachbarn besiegelte.

Literaturverzeichnis: Bettecken, Winfried, Stift und Stadt Essen. "Coenobium Astnide" und Siedlungsentwicklung bis 1244 (= Quellen und Studien. Veröffentlichungen des Instituts für kirchengeschichtliche Forschung des Bistums Essen, Bd.2), Münster 1988; Derks, Paul, Gerswid und Altfrid. Zur Überlieferung des Stiftes Essen (= BeitrrGEssen 107), Essen 1995, insbes. S.157ff; Gerchow, Jan, Geistliche Damen und Herren. Die Benediktinerabtei Werden und das Frauenstift Essen (799-1803), in: Burghard, Hermann, Dupke, Thomas, Fehse, Monika, Gerchow, Jan, Hopp, Detlef, Wisotzky, Klaus, Essen. Geschichte einer Stadt, hg. v. Ulrich Borsdorf, Bottrop-Essen 2002, S.58-167; Küppers-Braun, Macht in Frauenhand; Lux, Thomas, Das Stift Essen. Grundzüge seiner Geschichte von der Mitte des 9. Jahrhunderts bis zum Jahr 1495, in: Vergessene Zeiten. Mittelalter im Ruhrgebiet, Bd.2, hg. v. Ferdinand Seibt, Essen 1990, S.23-27.

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